(Mehr oder weniger) Krimi macht Kasse

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(Mehr oder weniger) Krimi macht Kasse

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Neues von den Bestsellerlisten: „Das Mädchen aus Brooklyn“ von Guillaume Musso, „Wir sind die Guten“ von Dora Heldt und „Corruption“ von Don Winslow.

Die Lage? Irgendwas zwischen trübe und nicht so heiter bis ziemlich wolkig: Man merkt, dass die Sommerferien kommen, denn auf den Bestsellerlisten übernehmen die Werke das Kommando, die die Händler samt ihrer Algorithmen ihren Kunden großflächig als luftig-lustige Strandlektüre empfehlen. Beziehungsweise: zumuten. In den Büchercharts tummeln sich dann verlässlich die üblichen Verdächtigen, Donna Leon mit ihrem 27. Venedig-Exkurs, Jean-Luc Bannalec mit seinem x-ten Frankreich-Urlaubskrimi, Zeug aus der Retorte. Die Krimidichte ist enorm, noch viel höher als eh schon; man könnte fast folgern: Wer im Sommer mit einem Büchlein erfolgreich sein will, für den ist ohne Krimi kaum was drin. Wobei, das zeigt sich da ebenfalls: „Krimi“ – was heißt das schon?

Guillaume Musso: Das Mädchen aus Brooklyn (Pendo, Euro 16,99)

Krimi – kann auch Liebesroman sein. Einer, der diesen Genremix perfekt beherrscht, ist der Franzose Guillaume Musso, der es wie kein zweiter versteht, anrührende Lovestorys mit wendungsreichen Spannungsplots zu kombinieren – wobei jederzeit klar ist, dass es in erster Linie um „die Liebe“ geht, das Verbrechen ist bloß ein Hindernis auf dem Weg zum reinen Glück, es verdichtet die Dramatik, es hält die Spannung aufrecht, letztlich aber in kooperativem Sinne, denn es lässt das Glück, das am Schluss erreicht wird, erst so richtig leuchten. Oder so.

In „Das Mädchen aus Brooklyn“ erzählt Musso von einem Mann – allein erziehender Schriftsteller – der sich unsterblich in eine junge Ärztin verliebt hat, als er mit dem kleinen Sohn in die Notaufnahme des Krankenhauses musste. Das Ganze ist gegenseitig, und als die Geschichte dieses Romans anfängt, steht die Hochzeit der beiden kurz bevor, nach mehrmonatigem Liebestaumel. ABER: Er findet, man müsse alle Geheimnisse teilen. Er drängt sie, mehr aus ihrer Vergangenheit zu erzählen. Da war sie bislang doch recht wortkarg. Sie will nicht. Er drängt weiter. Und weiter – bis er sie weichgeklopft hat. Also zeigt sie ihm ein schlimmes Bild und sagt „Dafür bin ich verantwortlich.“ Der Liebende ist erstmal entsetzt, flieht aus der hübschen Villa, die sie sich für ein letztes unverheiratetes Liebeswochenende gemietet haben, steigt ins Auto, braust davon. Als er sich nach einer halben Stunde besonnen hat – ist sie weg. Spurlos verschwunden. Er ist natürlich verzweifelt – und er macht sich auf die Suche. (Lustigerweise mit Hilfe seines Babysitters, der „zufällig“ ein Ex-Elitebulle ist…) Allerdings hat sie, wie sich bald zeigt, gleich mehrere, gut versteckte Geheimnisse. Es ist eigentlich unmöglich, die zu lüften. Außer natürlich für einen „richtig“ Liebenden…

Ja, okay, das könnte auch ein Fortsetzungsroman in der „Emotion“ sein. Und Guillaume Musso ist stilistisch ein Grobmotoriker. Macht trotzdem immer wieder Spaß, seine Romane zu lesen. Der Grund: Es ist im besten Sinne herzerfrischend, wie Musso seine Geschichten zum Happy End plottet, diesmal sogar mit einem Touch „House of Cards“, und wie er dabei – immer wieder – mit der Macht der Phantasie die Macht der Liebe beschwört. Das ist so… – ach, man möchte fast dran glauben. Also: Kein Krimi, das aber mit Herz.


Dora Heldt: Wir sind die Guten (DTV premium, Euro 15,90)

So, schnell noch ein Antidepressivum schlucken, dann weiter zu Dora Heldt. Die Frau ist ja ein Phänomen mit ihren Romanen, die stets an der Noooordseeeküsteee und gerne auch auf der Insel Sylt angesiedelt sind; ein Megaerfolg nach dem anderen; „Wir sind die Guten“ sprang in der Bestsellerliste gar direkt von Null auf Eins.

„Kriminalroman“, so steht´s in diesem Fall doch tatsächlich sogar auf dem Cover, na dann, also: es ermittelt eine lustige Rentnercombo, dabei geht’s – Überraschung! – um einen toten Mann am Strand, daneben noch um eine verschwundene Putzfrau und um Schwarz-Arbeit, einer der „Helden“ war mal beim Finanzamt. Dieser „Krimi“-Plot ist so unspektakulär wie unkreativ umgesetzt, man weiß im Prinzip von Beginn an, wie es enden wird; dafür wird alles bis ins kleinste Detail (auf 500 Seiten) breit gewalzt, das ist kaum zu ertragen. Zumal „der Krimi“ im Grunde genommen sowieso nicht das Thema der Geschichte ist, sondern die Insel Sylt, die ganze Lebensart dort, das tümelnde Kleinkariertdasein der Normalbürger jenseits allen Schickimickischnickschnacks, mit Kartoffelsalat, Eierlikör, Bierchen und Düne. Das Ganze derartig langatmig, gleichförmig und mild-ironisch intoniert, dass man schon ein frohes Gemüt haben muss, um bei der Lektüre nicht in Selbstmord- oder Amokläufergedanken zu verfallen.

Ein Buch wie das Leben zwischen Vorgarten und Terrasse (nicht nur) an der Nordseeküste; aufgeräumt, überschaubar, frei von jeglicher Überraschung. Ja, es gibt sie noch, die heilen Welten – in den Romanen von Dora Heldt, da kann man in ihnen kuscheln und versinken, darauf einen Eierlikör! „Krimi“ hat in diesem Fall die Funktion, die Illusion einer kurzen Irritation zu erzeugen, es könnte ja auch anders sein, aber keine Sorge, die Ordnung, die in Wirklichkeit nie gefährdet war, wird schnell wieder hergestellt, wir sind ja die Guten. WIR. Und ausländerfrei sind wir übrigens auch, na ja, so gut wie zumindest, die beiden Mädels aus Nürnberg zählen nicht, sie sind auch schon wieder weg; nicht, dass wir gegen Ausländer was hätten, schon klar, aber in dieser Geschichte, auf diesem Sylt müssen sie halt mal draußen bleiben. Was bleibt, wenn das Antidepressivum wirkt, ist ein Staunen: Auch solchen Quark trägt das Gerüst „Krimi“, das funktioniert trotz allem, irgendwie, da sieht man, welche Kraft dieses literarische Konzept trotz vielfachen Missbrauchs nach wie vor besitzt – erstaunlich auch deshalb, weil „Wir sind die Guten“ letztlich ja gar kein Kriminalroman ist.


Don Winslow: Corruption (Droemer, Euro 22,99)

Eine Folge der Krimischwemme, speziell in den Bestsellerlisten: es wird recht gnadenlos sichtbar, wer „Krimi“ kann – und wer nicht so gut. Die Zahl der Könner, so scheint´s manchmal, sinkt umgekehrt proportional zu der Derjenigen, die Kriminalromane veröffentlichen. Klar, grob trägt das Konzept „Krimi“ fast immer, irgendwie. Aber – auch stilistisch und formal – richtig überzeugend sind die wenigsten der Spannungsromane, die die Verlage uns in Massen präsentieren.

Wie gut, dass sich auch auf an der Spitze der Büchercharts manchmal Ausnahmen finden – so etwa „Corruption“, der neue Roman des amerikanischen Autors Don Winslow. Mal abgesehen von zwei bis fünf Sätzen, in denen Winslow den Phrasendrescher etwas zu rasant rotieren lässt, ist diese New Yorker Bullenoper ein großartig souverän, plakativ und zugleich auch filigran, man kann sagen: meisterhaft inszenierter, dramatisierter und erzählter Kriminalroman, der fast alles in den Schatten stellt, was sich im Mainstream-Pop-Bereich an „Erfolgskrimis“ dort oben in den Charts so tummelt: Winslow beherrscht das Genre mit seinen Erzählkonditionen so versiert, dass es schon rein formal ein Vergnügen ist, ihm und seinen Charakteren auf ihren Wegen zu folgen. Und die Form – wie man sie bedient, wie man sie bricht – ist ein entscheidender Faktor beim Schreiben von Genreliteratur.

Inhaltlich ist das bei „Corruption“ allerdings so eine Sache. Winslow erzählt, kurz gesagt, die alte Geschichte vom Aufstieg und Fall eines zwangsweise korrupten Polizisten und seiner Umgebung; angesiedelt vor allem im Stadtteil Harlem, nach den Anschlägen des 11. September. In Interviews sagt er, er habe fünf Jahre recherchiert, jede Facette habe sich irgendwann so oder ähnlich ereignet. Tatsächlich fühlt man sich beim Lesen allerdings oft auch an andere Copthriller aus Film, Fernsehen und Literatur erinnert, insbesondere übrigens an „Copland“ und „Triple 9“. Also alles nur geklaut? Das wohl eher nicht, aber „Corruption“ ist so sehr voller Anleihen, Verweise und Verbeugungen vor den Größen des Genres, dass man sich schon fragt, wie umfassend der Teil der „Recherche“ war, der aus dem Konsum von Filmen und Büchern bestand. Winslow exerziert das Ganze dann extrem gekonnt durch, er beherrscht das Handwerk aus dem Eff Eff, und er ist ein toller Erzähler. Aber seine Geschichte wirkt etwas, sagen wir, unoriginell, weil sie eigenes Neues im Prinzip nicht zu bieten hat; auch weil es ihr an unerwarteten Brüchen und Widersprüchen fehlt. Gut, aber das ist auch eine Kritik auf hohem Niveau, speziell wenn mit man sonstigem Erfolgsstoff aus den Bestsellerlisten vergleicht. Und eines ist sicher: „Corruption“ ist definitiv ein „richtiger“ Krimi, keine Frage.

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