Neue Hörbücher: In die Vergangenheit lauschen

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Neue Hörbücher: In die Vergangenheit lauschen

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Ein Trend auf dem Buch- wie auf dem Hörbuchmarkt: Geschichten, die aus der (deutschen) Geschichte erzählen. Mit: Ulrich Noethen, Frank Arnold, Vera Teltz und Hannelore Hoger.

Zum Beispiel aus dem 30jährigen Krieg, der 1618 begann – also genau vor 400 Jahren. Zum Jubiläum erscheinen viele (Hör-)Bücher zu dem Thema, Sachbücher wie Romane. Und einige AutorInnen versuchen, die Zeit damals plastisch und spürbar zu machen, indem sie ihre Geschichten so verorten, dass man quasi rein gesogen wird in die damalige Zeit. Daniel Kehlmann etwa, mit seinem klasse konstruierten, toll erzählen Roman „Tyll“, der den Mythos von Till Eulenspiegel aus dem 14. ins 17. Jahrhundert verlegt, dem Schalk auf seinen vermeintlichen Fährten folgt – und so in die Zeit entführt, deren Gewalt ganz Mitteleuropa prägte und traumatisierte, bis der Westfälische Frieden das Chaos eindämmte. Das Hörbuch (Argon, 11 h 16, Euro 29,95) kann man ebenso sehr, vielleicht sogar noch vehementer empfehlen wie den Roman; dem Schauspieler Ulrich Noethen gelingt eine so dynamische, präsente, auch luftige Interpretation, dass er auch in diesem Jahr wieder zu den Favoriten für den Deutschen Hörbuchpreis zählt, bei dem er 2017 schon ausgezeichnet wurde.

Europa, im Jahr 1938. In Deutschland regieren die Nazis, Hitler arbeitet mit seinen Vasallen auf den großen Krieg zu – Österreich ist schon annektiert, jetzt geht geht es um die Gebiete der Tschechoslowakei, in denen viele Sudetendeutsche leben. Unter dem Vorwand, es gäbe Übergriffe und ethnische Säuberungen, droht Hitler mit dem Einmarsch, was gleichbedeutend mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wäre. Das wollen andere europäische Mächte unbedingt vermeiden, allen voran die Engländer unter Premier Chamberlain. Dreimal besucht er Deutschland, zuletzt in München, in höchster Not kann der Krieg abgewendet werden. Wie wir heute wissen, bloß für ein weiteres Jahr. Braucht es eine harte Hand und notfalls Gewalt – oder kann man durch Verhandeln und Beschwichtigen erfolgreich sein? Das war die große Frage der Zeit; Chamberlain, der noch die Millionen Opfer des Ersten Weltkriegs im Kopf hatte, entschied sich für Appeasement, also Beschwichtigung – und scheiterte. In seinem Polit- und Spionagethriller „München“ erlaubt der englische Autor Robert Harris einen Blick hinter die Kulissen des dritten Verhandlungsmarathons, der 1938 eben in München stattfand. Harris verarbeitet für seine Geschichte jede Menge historischer Fakten, auf der Ebene ist das Buch sehr aufschlussreich; auf der Ebene der Story bleibt es leider etwas blass und statisch. Auch deshalb ist in diesem Fall das Hörbuch (Random House Audio, 7 h 58, Euro 22) eine besondere Empfehlung: Frank Arnold, ein Sprecher mit sehr großer Erfahrung, auch als Dramaturg, macht im wahrsten Sinn des Wortes das Beste draus.

Die Nachkriegszeit war (und ist) auf dem Buchmarkt in den letzten Jahren ein ganz großer Trend – der jetzt immer stärker auch auf den Hörbuch-Markt überschwappt. Der so packende wie berührende Roman „Trümmerkind“ von Mechthild Borrmann etwa, der kürzlich auch als Taschenbuch (Droemer, Euro 10,99) und fast zugleich auch als Hörbuch (Argon, toll gelesen von Vera Teltz, 7 h 44, Euro 9,99) herauskam. Ein zweiter Tipp, bei der Gelegenheit, obgleich schon etwas länger auf dem Markt: „Altes Land“ von Dörte Hansen (Argon, auch klasse gelesen von Hannelore Hoger, 6 h 13, Euro 9,99) – ein Roman, der zum Überraschungsbestseller wurde und sich ewig auf den Bestsellerlisten hielt. Die Geschichten berichten aus den letzten Kriegstagen bzw. aus der Zeit kurz danach, zugleich gibt es aber Stränge, die in die Gegenwart führen bzw. von damals in die Gegenwart. Der Fokus liegt hier wie dort unter anderem auf Flucht und Vertreibung der Deutschen, was ja lange ein großes Tabu war, und zwar ohne, dass es irgendwie „revanchistisch“ wäre. Sondern: sorgsam schraffiert und inszeniert, mit Blick auf persönliches Erleben, auf die Traumatisierungen, die dort in vielerlei Hinsicht geschahen – und die in vielen Familien bis heute weiter wirken. Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens ein Abgleich mit dem Thema Flucht und Vertreibung heute: Die Wutbürger gab es damals wie jetzt – nur, dass sich ihr Ärger auf die eigenen Landsleute richtete, nicht auf Geflüchtete von andernorts. Die aus dem Osten – wurden oft behandelt wie der letzte Dreck; sie wollte damals kaum einer haben…

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