(Nicht nur) vom aktuellen “Weltempfänger”: Neues aus Lateinamerika

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(Nicht nur) vom aktuellen “Weltempfänger”: Neues aus Lateinamerika

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Starkes Debüt: In ihrem Roman “Das deutsche Zimmer” (Berenberg, Euro 24, übersetzt von Peter Kultzen) erzählt die 1976 in Venezuela geborene, in Argentinien lebende Schriftstellerin und Theatermacherin Carla Maliandi von einer jungen Frau, die im Zuge einer Lebenskrise nach Deutschland zurückkehrt, wo sie als kleines Kind längere Zeit in Heidelberg verbrachte, weil die Eltern dort vor der Diktatur Schutz gesucht hatten.
Aktuelle Eindrücke mischen sich mit Reflexionen und Erinnerungen, hinzu kommen Begegnungen mit diversen Menschen aus den verschiedensten Ecken der Welt, die es ebenfalls ausgerechnet nach Heidelberg verschlagen hat. Identität und Migration also; auch die Frage, was “Exil” bedeutet in einer Welt, die sich globalisiert hat. Carla Maliandi erzählt von diesen Themen in einer wunderbar versponnenen Story, mit erstaunlichen Wendepunkten und einigen bemerkenswerten Charakteren. Eine im besten Sinne “besondere” Geschichte.

Gleich drei aktuelle Bücher von Frauen aus Lateinamerika finden sich auf der aktuellen “Weltempfänger”-Bestenliste für Literaturen jenseits des globalen Mainstreams:

Auf Rang 1 der Roman “Archiv der verlorenen Kinder” (Kunstmann Verlag, Euro 25, übersetzt von Brigitte Jakobeit) von Valeria Luiselli, geboren 1983, die aus Mexiko City stammt, heute aber in New York lebt – ein hoch komplexer und anspielungsreicher “intellektueller” Roman, der sich einerseits mit Identitätsfragen heute beschäftigt und andererseits im Abgleich damit die Situation der Migration Minderjähriger in die USA spiegelt. Interessant insbesondere für geduldige LeserInnen, die am Thema interessiert sind – und daran, an ihrer Lektüre auch mal zu “arbeiten”.

Nochmals Venezuela, von dort stammt auch Karina Sainz Borgo, Debütantin Nr. 2, die allerdings heute im Exil in Spanien lebt – in ihrem auf Rang auf Platz 6 platzierten Roman “Nacht in Caracas” (S. Fischer, 21 Euro, übersetzt von Susanne Lange) rechnet sie sehr provokant und zugespitzt plakativ, aber eben auch im eindrücklichen Sinne spektakulär mit dem Regime dort und seinen Günstlingen ab. Böse, aber gut, sozusagen. Und ein interessanter Einblick in die Funktionsweisen von Macht-Strukuren dort.

Last not least – und eine ganz andere Art von Literatur: Maria Gainza mit “Lidschlag” (Kunstmann Verlag, Euro 19, nochmal Peter Kultzen als Übersetzer), eine in Argentinien sehr bekannte Kunstkritikerin und Kuratorin, sie verbindet und verwebt Gedanken über Kunst mit Geschichten aus dem Leben, auch aus ihrem Leben; elf fein gestrickte, pointiert erzählte kleine Stücke, jedes ein Gemuss, genau beobachtet, sprachlich gewandt, gewürzt mit gut dosierter Selbst-Ironie, diese Texte berühren Herz und Hirn gleichermaßen, ein reines Lese-Vergnügen.

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