2021 war ein gutes Jahr für Menschen, die Spaß am Lesen haben: Jede Menge Entdeckungen waren drin; viele spannende neue Bücher mit Mehr-Wert. (Siehe auch die “große” Liste HIER auf meinem Blog.) Wie wählt man da nun für sich und andere seine “Romane des Jahres” aus? Ich dachte, ich sortiere die unsortierten Bücher aus 2021 nochmal um und schaue, welche Titel am Schluss oben liegen (siehe Bild). Ist ja letztlich sowieso ein Stück weit reine Willkür, solch eine Liste zusammenzustellen. Also:
1. Oyinkan Braithwaite: “Das Baby ist meins” (Tropen, Euro 15,–) – Der erste “richtige” Lockdown-Roman kam im Januar aus Lagos/Nigeria. Sehr witzig und gewitzt (und intelligent), wie Oyinkan Braitwaite diese Situation nutzt, um mal eben spielerisch die Geschlechterverhältnisse umzukehren.
2. Alem Grabovac: “Das achte Kind” (Hanser Berlin, Euro 22,–) – Apropos diverse Jubiläen von “Gastarbeiter”-Anwerbeabkommen: Es gibt ja viele irre Geschichten von Menschen, die selbst so genannte “Gastarbeiter” waren oder von ihnen abstammen. Die von Alem Grabovac ist die irrste. Und er hat sie wirklich toll erzählt!
3. Tomer Gardi: “Eine runde Sache” (Droschl, Euro 22,–) – Was kommt raus, wenn ich ein- und dieselbe Idee in zwei verschiedenen Sprachen realisiere? Tomer Gardi schreibt auf Hebräisch und Deutsch, erstaunlicherweise wird aus den beiden Teilen seines Romans auf ver-rückte Weise am Ende tatsächlich eine Runde Sache – und zwar eine beeindruckend zeitgemäße Geschichte über Macht und Mythos.
4. Tade Thompson: “Wild Card” (Suhrkamp, Euro 10,95) – Weston Kogi muss wegen einer Beerdigung aus London zurück in die afrikanische Heimat seiner Vorfahren. Weston trägt etwas dicke auf, er sei Mordermittler; tatsächlich ist er ja nur Wachmann im Supermarkt. Jemand glaubt seinen Sprüchen – und Westen wird in eine sehr wilde Geschichte verwickelt. So geht zeitgenössische Kriminalliteratur, klasse.
5. María José Ferrada: “Kramp” (Berenberg, Euro 22,–) – Chile in den 80ern. Ihr Vater ist Vertreter für Eisenwaren von Kramp, die Erzählerin geht ihm auf Reisen. Warum? Das hat mit den Zeitumständen und den politischen Verhältnissen zu tun. Knapp, kompakt, besonders – eine Hommage an die Zunft der Vertreter und eine subkutane Abrechnung mit der Diktatur in Chile.
6. Abdulrazak Gurnah: “Das verlorene Paradies” (Penguin, Euro 25,–) – Wer bitte? Kaum jemand wusste, wer Abdulrazak Gurnah ist, als in diesem Jahr bekannt gegeben wurde, dass er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet ist. Jetzt kennt man ihn. Und jetzt ist auch wieder ein Roman von ihm auf Deutsch verfügbar, dieser hier …
Das sind sechs wirklich gute aktuelle Romane, die ich reinen Gewissens empfehlen kann. Na gut, das Gewissen ist nur fast rein. Denn, wie gesagt, diese Auswahl ist ein Stück weit auch willkürlich. Auf den unsortierten Stapeln nach oben gewürfelt. Da hätten andererseits auch diese Titel hier aus dem Jahr 2021 landen können, und damit wären wir jetzt bei zehn Romanen des Jahres:
7. Valeria Parella: “Vesprechen kann ich nichts” (Hanser, Euro 19,–) – Eine tolle Erzählerin aus Italien; eine Prosa, die aufs Wesentliche verknappt und konzentriert ist – die Geschichte einer Jugendgefängnis-Lehrerin, die sich mit einem Mädchen aus Rumänien anfreundet.
8. Merle Kröger: “Die Experten” (Suhrkamp, Euro 20,–) – Deutsche Raketenwissenschaftler mit Nazi-Vergangenheit in Ägypten: In ihrem opulenten dokumentarischen Roman arbeitet Merle Kröger – auf Basis umfangreicher Recherchen – deutsche Zeitgeschichte auf.
9. Kim Thúy: „Großer Bruder, kleine Schwester“ (Kunstmann, Euro 20,–) – Die Schicksale der vietnamesischen “Besatzungskinder”. Kim Thúy stammt aus Vietnam, lebt in Kanada. Immer wieder faszinierend, wie sie es schafft, Geschichten und Geschichte auf engstem Raum zu verdichten.
10. Orkun Ertener: “Was bisher geschah (und was niemals geschehen darf)” – Corona sei “Dank”: Dieser Roman ist ziemlich untergegangen. Wie so viele. Und das ist aber so was von unberechtigt! Wer sich für Migration und (fluide) Identität interessiert, der sollte diese großartige Coming of Age-Geschichte keinesfalls verpassen.
2 Kommentare
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Hallo, ich habe leider den Titel und den Autor nicht mitbekommen (kam von einer Höhrerin, ich saß im Auto), der 1945 spielt, wo eine Frau sich in den Arzt verliebt, der Kinder euthanisiert. Könntet ihr mir das bitte rüber schicken? Vielen Dank und einen schönen Tag noch. Grüße Birgit
Super Liste, Thompson und Parelle habe ich auch gelesen.
Mein Favorit für 2021 ist aber ein Buch, das hier leider nicht drauf ist:
Francis Nenik: E. oder Die Insel (Voland & Quist 2021)
Ein Roman, der die NS-Euthanasie aus Täterperspektive erzählt, verstörend, aber literarisch brillant.