Ngũgĩ wa Thiong’o – Stimme Afrikas

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Ngũgĩ wa Thiong’o – Stimme Afrikas

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Der Kenianer Ngũgĩ wa Thiong’o gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller des afrikanischen Kontinents. In Köln stellte er unter anderem seine Essays zur „Dekolonisierung des Denkens“ vor, die 30 Jahre nach ihrem Entstehen nun auch ins Deutsche übersetzt wurden.

Wenn es in die letzten Jahren an die Spekulationen ging, wer wohl den Literaturnobelpreis bekommen würde, dann war er immer im engsten Favoritenkreis: Ngũgĩ wa Thiong’o, geboren 1938, Schriftsteller und Kulturwissenschaftler aus Kenia, der heute allerdings nach vielem Hin und Her in Kalifornien lebt.

Am 18. Juni war er in Köln, im Rahmen einer Lesung aus der Reihe „Stimmen Afrikas“, die seit fast zehn Jahren einmal im Monat einen Autor/eine Autorin aus einem afrikanischen Land präsentiert. Ngũgĩ wa Thiong’o ist, vor allem mit seinem Opus Magnum „Herr der Krähen“, nicht nur einer der wichtigsten Schriftsteller des afrikanischen Kontinents, sondern auch als Intellektueller und Essayist extrem einflussreich.

Das betrifft insbesondere auch die Essays, die in dem Band „Dekolonisierung des Denkens“ zusammengefasst sind, der im Original schon Mitte der 80er Jahre erschien, aber erst jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Darin geht es darum, wie die Kolonialisierung Sprache und das Denken und natürlich auch das Schreiben prägt – und wie man mit diesen Prägungen umgehen kann.

Die Sprache als Herrschaftsinstrument mehr oder minder korrupter Eliten, die nicht zuletzt auch im Sinne der ehemaligen Kolonisatoren agieren, auch so darf man Ngũgĩ wa Thiong’o verstehen. Woraus folgt: Die Emanzipation von diesem Muster, die Konzentration auf´s Eigene, auf „die erste Sprache“, die Muttersprache – als ein Akt des Widerstands.

Ein Kernthema im Werk des Schriftstellers – das veranschaulichte eine Episode in der unterhaltsamen, gut besuchten Kölner Lesung: Er müsse uns jetzt mal ein Geheimnis verraten, sagte Ngũgĩ wa Thiong’o, bevor er zu einem kleinen Exkurs ausgerechnet über Klopapier ausholte. In den USA, wo er lebe, gebe es ja im Fernsehen ständig Werbung für besonders sanftes, softes Klopapier mit lustigen Aufdrucken, kleine Bärchen oder so. Das sei im Gefängnis in Kenia natürlich ganz anders gewesen. Das brettharte Klopapier dort sei wahrscheinlich als zusätzliche Strafe für die Gefangenen gedacht gewesen. Immerhin, einen Vorteil habe das natürlich gehabt: „Gutes Material zum Schreiben!“

„Der gekreuzigte Teufel“, so heißt der Roman, den Ngũgĩ wa Thiong’o Ende der 1970er Jahre schrieb – eben im Gefängnis, auf Toilettenpapier und vor allem: im Kikuyu, seiner „ersten Sprache“. Was er sich seitdem zum Prinzip gemacht hat – er schreibt auf Kikuyu, übersetzt dann ins Englische. Nur so, in der Heimat der Muttersprache, könne er bestimmte Empfindungswelten überhaupt exakt formulieren, sagte der Schriftsteller bei der Lesung in Köln. Ins Gefängnis war er übrigens wegen eines sozialkritische Theaterprojekts zu diesen Themen gekommen. Insofern: Den Roman in Kikuyu auf Gefängnis-Klopapier zu schreiben, das war nicht bloß eine Notlösung – sondern eben, wie beschrieben, ein Akt des Widerstands. Und zwar in diesem Fall konkret einer der besonders subtil-subversiven Art.

Die Kölner Lesung mit Ngũgĩ wa Thiong’o war großartig, eine lustige, laute und sehr bunte Veranstaltung – mit einem Gast im Mittelpunkt, bei dem man Leben, Werk und Thema nicht isoliert betrachten kann: Ngũgĩ wa Thiong’o ist noch zur Kolonialzeit aufgewachsen, er hat die Unterdrückung der Kolonialherren noch selbst gespürt, dann die afrikanischen Befreiungskämpfe und die Dekolonisierung erlebt, zumindest die politische. Plus natürlich die Entwicklungen seitdem, mit allem Licht und Schatten. Ngũgĩs Lichtgestalt: Nelson Mandela.

Die Dekolonisierung des Denkens – wie es um sein Lebensthema steht, tja, das ist nun Frage für Gegenwart und Zukunft. Die Saat der Gedanken, die er gelegt hat, wird noch lange wirken; für Schriftstellerinnen mit afrikanischen Wurzeln ist es unverzichtbar, ihnen auf die eine oder andere Weise zu begegnen, egal wie sie zum Thema der Herkunft nun stehen mögen. Das belegen übrigens auch die kurzen Essays mehrerer jüngerer AutorInnen zum Thema, mit denen die Herausgeberinnen die deutsche Ausgabe von „Dekolonisierung des Denkens“ geschickt ergänzt haben.

Und sonst? Ein wirklich gelungener Abend; großartig, diese lebende Legende mal persönlich erlebt haben zu dürfen. Überhaupt, tolle Sache, diese Reihe “Stimmen Afrikas”, die im kommenden Jahr ihren zehnten Geburtstag feiern wird. 2018 wird der Nobelpreis wegen des Sexismus-Skandals in der Akademie ja nicht vergeben – aber wenn Ngũgĩ wa Thiong’o ihn dann 2019 bekommt, gibt´s in Köln und um Köln herum so um die 400 Menschen, die wissen, warum das die einzig richtige Entscheidung war.

2 Kommentare

  1. Eva-Maria Bruchhaus am

    Ich war auf der Veranstaltung, finde Ihren Beitrag sehr gelungen und habe mich auch über das wohl verdiente Lob für die “Stimmen Afrikas” gefreut. Allerdings stört mich, dass bei dem Hinweis auf das Erscheinen des Bands “Dekolonisierung des Denkens” von “Herausgebern” die Rede ist, wo doch klar ist, dass es sich um zwei Frauen handelt – darunter Christa Morgenrath, die Initiarorin der “Stimmen Afrikas”. Bitte in Zukunft darauf achten.
    Und noch eine Anmerkung zu der unten stehenden Erklärung zur Nutzung des Formulars: ich werde nicht gern von wildfremden Leuten geduzt, habe mich aber trotzdem einverstanden erklärt.

    • Vielen Dank für Ihr freundliches Feedback und den Hinweis. Stimmt, Herausgeberinnen natürlich… 🙂 Schönen Gruß, Ulrich Noller

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