“Ich bleibe da verhalten pessimistisch.” – Gespräch mit Zoë Beck über ihren neuen Roman “Die Lieferantin”

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“Ich bleibe da verhalten pessimistisch.” – Gespräch mit Zoë Beck über ihren neuen Roman “Die Lieferantin”

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„Die Lieferantin“ ist in einer nicht allzuweit entfernten Zukunft in London angesiedelt – der Brexit ist vollzogen, radikal Konservative sind an der Macht, die Wirtschaft liegt am Boden, rechte Schläger ziehen durch die Straßen, der Rassismus ist wieder hoffähig geworden. Die Regierung plant den „Druxit“, eine „zero tolerance“-Drogengesetzgebung, eine Initiative hält dagegen, ein Volksentscheid steht an. In dieser Gemengelage revolutionieren Unbekannte den Drogenhandel, indem sie ihren Stoff mit Drohnen ausliefern – was die Herren aus dem organisierten Verbrechen, die in dem Metier bislang das Sagen hatten, natürlich nicht auf sich sitzen lassen können. Und so entwickelt sich auch in punkto Drogenhandel ein Existenzkampf ganz neuer gegen ganz alte „Wirtschaftsweisen“, bei denen es eigentlich bloß Verlierer geben kann. – „Die Lieferantin“ ist ein bissig-gesellschaftskritischer Genreromane ohne Zeigefinger; intelligent konstruiert und angenehm nüchtern geschrieben; die Geschichte glänzt mit einer Vielzahl an spannenden Charakteren, deren Wege sich auf geschickt inszenierte Weise überraschend kreuzen. So funktioniert zeitgenössische Spannungsliteratur: „Die Lieferantin“ ist eine Analyse der Zeit, aber Zoë Beck resümiert nicht bloß, sie spinnt die gesellschaftlich-politischen Gegebenheiten weiter, und sie denkt dabei auch „um die Ecke“, das Ganze blendend inszeniert und umgesetzt. Das Ergebnis: Ein Kriminalroman, bei dem Analyse, Meinung und Unterhaltung nahezu perfekt verzahnt sind.

Drogen per Drohne, eine zeitgemäße Geschäftsidee, wie kamen Sie denn darauf?



Das größte Problem, das es bei den Darknet-Lieferungen gibt, ist die physische Zustellung. Der Bestellvorgang selbst, das Bezahlen – das ist alles relativ abgesichert, wenn man weiß, was zu beachten ist. (Natürlich nie zu hundert Prozent, und man weiß auch nie, ob man nicht gerade bei einem verdeckten Ermittler bestellt.) Mal angenommen, das klappt alles: Wenn dann auf dem Postweg Drogen zu einem unterwegs sind und sie abgefangen werden, kommt man deutlich in Erklärungsnot, schließlich steht ja der eigene Name, die eigene Adresse drauf. Deshalb dachte ich mir die Zustellung mit den Drohnen aus. Die Drohnen in meinem Roman löschen ihr Programm, falls etwas schiefläuft, dann kann nicht mehr nachvollzogen werden, wer wem die Drogen geschickt hat. Heute werden Drogen bereits per Drohne über Gefängnissen abgeworfen, um die Insassen zu versorgen. Also ganz aus der Luft gegriffen ist das alles nicht.



Die Digitalisierung des Drogenhandels schmeckt allerdings nicht allen gleich gut, oder?



Die traditionellen Drogengangs mussten da schon umdenken. Das Geschäft läuft eben nicht mehr nur über die Straße, im Netz kommt auch eine neue Klientel dazu, aber es tummeln sich auch neue Anbieter. Es war also erforderlich umzudenken: größere Auswahl, größere Konkurrenz …


Was hat Sie bei der Recherche in Sachen Darknet überrascht?



Nicht viel, weil es kein neues Gebiet für mich ist. Das Darknet als Ort, an dem sich Menschen anonym und geschützt austauschen, im Guten wie im Schlechten, ist nichts, was ich erst recherchieren musste. Die Entwicklungen im Netz, die digitalen Fortschritte interessieren mich ja schon, seit ich Zugang zum Internet habe. Dass Anonymität nicht nur Schutz vor politischer Verfolgung bietet, sondern auch eine prima Möglichkeit bietet, lauter illegale Dinge anzubieten oder zu tun, ist klar. Die letzte Verhaftungswelle hat allerdings gezeigt, wie weit Geheimdienste und andere Behörden mittlerweile sind, wenn es darum geht, Darknet-Händler aufzuspüren. 
Überrascht hat mich also wenig, es erschüttert mich nur bis heute, auf welche menschlichen Abgründe man dort stoßen kann. (Sage ich, die sich ständig mit Abgründen beschäftigt, aber im Vergleich dazu ist das, was ich beschreibe, ein fröhlicher Kindergeburtstag.) Das Drogenangebot ist nur eine harmlose Veranstaltung gemessen an dem, was es sonst noch gibt. 


Gestern wurde gemeldet, dass sich der Chef der Darknet-Verkaufsplattform „Alpha Bay“ nach seiner Festnahme in Thailand in seiner Zelle erhängt hat. Was klingelt in Ihrem Hirn, wenn Sie so etwas lesen, kurz nachdem „Die Lieferantin“ erschienen ist?



Ich mache mir da eher Sorgen um diejenigen, die den Schutz des Darknets suchen, um nicht als politisch Verfolgte in einer Zelle landen, in der sie dann erhängt aufgefunden werden. Wenn Verbrecher aufgespürt werden können, dann auch diejenigen, die die Anonymität suchen, um nicht von ihren Regierungen ermordet zu werden.


Was können Sie uns über TheSupplier verraten?



Ungewöhnlich daran ist, dass es sich um eine Frau handelt. Ungewöhnlich deshalb, weil die Organisierte Kriminalität nach wie vor eine Männerdomäne ist, mit knallharten patriarchalen Strukturen. Frauen sind in dem Bereich immer noch außen vor bzw. werden als Ware eingesetzt. Die Lieferantin mischt sich da also in etwas ein, das über Jahrzehnte gewachsen ist, und stört diese alten Strukturen mit neuer Technologie. Sie tut dies auch, um die mittlerweile durchaus weltweit verbreitete Erkenntnis, dass der War on Drugs gescheitert ist, auf diesem kuriosen Weg weiter durchzusetzen. Diese Frau selbst hat kein Interesse daran, Drogen zu nehmen, aber sie hatte einen Bruder, der an einer Überdosis gestorben ist. Es sind also durchaus persönliche Motive, die sie dazu gebracht haben, über die Drogenpolitik nachzudenken und dann schließlich so radikal einzugreifen. 


Wie kommt´s eigentlich, dass Ihre Romane so oft in England und insbesondere in London angesiedelt sind?

Meine ersten Bücher spielten vor 12 Jahren in Deutschland. Zu der Zeit kam der Trend auf, der sich Regionalkrimi nannte und damals jedenfalls eng mit einer humoristischen Note verknüpft war, mindestens aber mit einer gewissen Harmlosigkeit, was die Themen anging. Regional eben. Deutsche Großstädte seien uninteressant, hieß es von Verlagsseite. Politik habe in diesen Romanen nichts zu suchen, außer in Form von ermordeten Bürgermeistern. Ich hatte gerade drei Bücher geschrieben, die durchaus politische Komponenten hatten, also entschied ich, mich diesen Marketingregeln zu entziehen und mit den Geschichten ins Ausland zu gehen. Natürlich ging ich dahin, wo ich mich auskannte. Und weil mich gesellschaftliche und politische Entwicklungen immer interessiert hatten, hielt ich Großbritannien für einen guten Schauplatz, weil sich dort gewisse Krisen schon sehr viel früher und krasser zeigten als in Deutschland. Menschenhandel war in meinen Büchern ein Thema, oder die Kinderarmut in Schottland, die Undurchlässigkeit der gesellschaftlichen Klassen, Gentrifizierung und so weiter. Die Folgen der Politik von Margaret Thatcher habe ich in Nordengland jeden Tag vor Augen gehabt, das hat mich sehr geprägt. Und London hat sich in den letzten Jahren so stark verändert, ich kenne es ja noch als Kind, ich fand es deshalb ein sehr gutes Setting.

In „Die Lieferantin“ ist´s ein London kurz, nachdem der Brexit stattgefunden hat. Was hat Sie an diesem Setting gereizt?



Die Möglichkeit der Zuspitzung von Konflikten, die ohnehin schon bestehen. Und wenn es nur darum geht, noch ein obszön teures Gebäude mitten in die Stadt zu knallen, oder diese unsinnige Garden Bridge, während woanders in derselben Stadt Leute frierend in ihren Wohnungen sitzen, weil sie sich die Heizkosten nicht leisten können, und ich meine hier Menschen, die ganz normal arbeiten und Geld verdienen. Und es gibt immer mehr Menschen, die trotz eines Jobs obdachlos sind. Oder sich ein kleines Zimmer mit anderen teilen, obwohl sie längst erwachsen und voll berufstätig sind. Von dem Zynismus, der zu der Grenfell-Tower-Katastrophe geführt hat, will ich erst gar nicht anfangen. Das hätte niemals passieren dürfen. 


Eine Art Bestandsaufnahme aus einer Welt, in der die Populisten die Oberhand gewonnen haben, oder?



Ja. 


Und nun steht ein neues Referendum an, der Druxit. Was hat´s damit auf sich?



Obwohl schon lange klar ist, dass der War on Drugs weltweit gescheitert ist und noch nie etwas gebracht hat, neigen konservative Regierungen immer noch dazu, sich für eine schärfere Drogenpolitik einzusetzen. Das habe ich auf die Spitze getrieben – auch um zu zeigen, wie sich gegen Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse usw. gewandt wird, Stichwort könnte auch Klimawandel sein, nur um Stimmen zu bekommen und an der Macht zu bleiben. Da werden Statistiken manipuliert, falsche Nachrichten verbreitet, um irgendwelche Interessen von irgendwelchen Lobbygruppen durchzusetzen. 
Beim „Druxit“ geht es darum, Drogen komplett zu verbieten und den Menschen, die drogensüchtig sind oder waren oder auch nur mal Drogen probiert haben, das Leben schwer zu machen, indem sie registriert werden, was ihre Chancen auf Jobs und Wohnungen nur weiter schmälert. Ziel ist es, ein klares Richtig und Falsch, Gut und Böse politisch zu etablieren. Eine ganz schlichte Weltsicht. 


Ein großes Thema: Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Inwieweit spiegeln Sie da in der Zukunft Ihrer Fiktion die Realität, nicht bloß in England?



Ich musste in den letzten Monaten und Jahren beobachten, dass der Hass auf Menschen, die vermeintlich „anders“ sind, deutlich offener zu Tage trat. Im Netz sowieso, aber auch auf der Straße, und da tat sich in England doch einiges, was mich schockiert hat. In Gesprächen mit Brexit-Befürwortern war der Ausländerhass ganz offen Thema, ohne Scham, ohne Entschuldigung. Selbst hier in Berlin-Zehlendorf musste ich schon mitansehen, wie eine Gruppe Burschenschaftler fröhlich „Sieg Heil“ brüllend durch den Park trabte und eine junge Frau mit dunklen Haaren und dunklen Augen (übrigens eine gebürtige Deutsche, aber sie war nun mal nicht blond und blauäugig) beleidigte. Oder an der Supermarktkasse, da beschimpfte ein Kunde den arabisch aussehenden Kassierer, einfach so. Es gibt viele Menschen, die sich ganz anders verhalten, die sich dagegenstellen, aber ich höre auch, wie oft sie eingeschüchtert werden. Als ich zum Beispiel einen positiven Artikel über die Flüchtlingsunterkunft hier um die Ecke schrieb, oder über einen älteren Herrn, der sich um die Integration junger Geflohener kümmerte, bekam ich sofort lauter Hetz- und Hassmails. Das hat durchaus zugenommen. Auch bei feministischen oder anderen „linken“ Themen. Es ist, als würde das weiße, heteronormative Patriarchat so richtig zum Gegenschlag ausholen wollen, weil ihm in den vergangenen Jahrzehnten Privilegien genommen wurden und die Deutungshoheit ins Wanken kam. Andere Theorien besagen ja: Wenn die Menschen sonst nichts haben, womit sie sich identifizieren können, also kein Geld, keinen Status, keinen Job, dann bleibt nur noch Hautfarbe und Nationalität. Da spielen aber sicherlich noch sehr viel mehr Faktoren hinein. Der Brexit war allerdings schon ein deutlich nationalistisches Zeichen: Uns soll niemand reinreden. Wir machen unser Ding. Wir sind eine große Nation. 


Ein „Gesellschaftspolitthriller“ würde ich sagen. Stimmen Sie zu?



Ich tu mir so schwer mit den Etiketten. Da hat sich durch das ganze Buchmarketing in den letzten Jahren so vieles verengt, dass ich gar nicht mehr weiß, ob man noch Thriller dazu sagen kann oder sollte. Gegen irgendwas mit Gesellschaft und Politik und spannend habe ich aber gar nichts. Wie gesagt, ich weiß nicht, wie man es nennen soll. ☺


Wie wichtig ist für Sie der Aspekt „Gesellschaftskritik“ – und wie wichtig der Aspekt „Unterhaltung“?



Da orientiere ich mich an dem, was ich selbst gern lese. Es gibt auch genügend Menschen, die Geschichten möglichst ohne irgendein politisches oder gesellschaftliches Thema lesen wollen. An der Stelle sage ich ja gern, dass nichts komplett unpolitisch ist, weil jede Fiktion ein Weltentwurf ist, und der eskapistischste Roman ist durch die Figurenkonstellationen, durch die Auswahl von Beruf, Herkunft, Alter, Geschlecht usw. auf seine Art ein gesellschaftlicher Kommentar. Leider merken es die Leute nicht immer. 
Ich bemühe mich durchaus, unterhaltsam zu schreiben. Das Gegenteil wäre langweilig, oder? Ich möchte ja keine langweiligen Geschichten erzählen. 


Sie haben früher bei Bastei/Lübbe veröffentlicht, dann bei Heyne – und jetzt bei Suhrkamp. Was macht den Unterschied aus?



Bastei Lübbe und Randomhouse (Heyne) sind ganz stark auf den Vertrieb von Genreliteratur ausgerichtet. Marketing- und Vertriebsabteilungen möchten genau wissen, was der Buchhandel dann in welches Regal, auf welchen Tisch sortieren kann, Covergestaltung und Titelgebung spielen da manchmal eine größere Rolle als Inhalte. Me-too-Produkte sind sehr beliebt. Dasunddas war gerade erfolgreich, als noch mal ein paar Bücher, die in diese Richtung gehen. Das ist unternehmerisches Denken, völlig ok. Ich merkte nur, dass ich da nicht wirklich reinpasste. 
Bei Bastei Lübbe hatte außerdem ich so gut wie keine Wahrnehmung durch die Presse. Das änderte sich schlagartig mit Heyne, dort hatte die zuständige Pressefrau ein unglaublich gutes Gespür dafür, wer sich für mein Buch interessieren könnte. Zu der Zeit schrieb ich schon deutlich freier, allerdings gab es auch gleich Diskussionen im Programmbereich: Ich gehörte eigentlich, wie ich erfuhr, in die Kategorie „Frauenspannung“, soll heißen: emotionalere Geschichten, emotionalerer Schreibstil, nettere Protagonistin. Ob ich nicht doch irgendwie anders schreiben könnte …? Dabei hatte ich gehofft, diese Einwände endlich los zu sein, diese Vorgaben waren ja einer der vielen Gründe gewesen, warum ich nicht mehr bei Bastei Lübbe sein wollte und meine Verträge dort gekündigt hatte. Besonders als ich dann mit IS-Terroristen bei „Schwarzblende“ ankam, hatte ich dann erstmal ein sehr ernstes Gespräch darüber, dass Frauen, die den Großteil der Leserschaft ausmachen, doch lieber was anderes lesen würden, nichts so Anstrengendes … Bei Suhrkamp denkt man nicht in diesen strengen Genre-Kategorien, mein Eindruck ist, dass es vor allem darum geht: Ist die Geschichte gut erzählt, gut geschrieben? Und dann: Wie kriegen wir das Buch jetzt am besten an die Leserschaft? Vorher war es: Die Leserschaft möchte dies und das, also schreib doch bitte so etwas, danke. Was auch Vorteile hat, natürlich. Ich sitze nur leider mit meinen Sachen ständig zwischen irgendwelchen Stühlen, da können Lektorinnen, die einen klaren Auftrag von der Programmleitung haben, welche Subgenres bedient werden sollen, schon mal mit mir ins Schwitzen kommen. 


Als die Brexit-Abstimmung stattfand, hatten Sie den Roman sicher schon komplett konzipiert und wohl auch teilweise geschrieben, oder? Was hätten Sie gemacht, wenn die Abstimmung andersrum ausgegangen wäre?



Ich hätte ihn wirklich sehr gern umgeschrieben. Ehrlich. 


In Sachen Brexit ist das Kind in den Brunnen gefallen, aber insgesamt scheint´s mittlerweile so, als sei die Erfolgswelle der Populisten erstmal abgeebbt. Wie beurteilen Sie im Moment die Lage, wie schauen Sie derzeit in die Zukunft?



Ich bin nicht sicher, ob wir wirklich von Abebben reden können. Vielleicht ist ein gewisser Sättigungsgrad erreicht, aber davon sind die Menschen, die so denken, nicht einfach weg. Und die Ideen auch nicht. Die Lager sind viel gespaltener als zuvor, das wird uns noch lange beschäftigen, fürchte ich, und was Falschmeldungen angeht und wie sich die Menschen in Zukunft informieren, was sie glauben wollen und was nicht, kann sicherlich noch einiges an bösen Überraschungen bringen. Ich bleibe da verhalten pessimistisch. 


Bild: Anette Göttlicher

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