Ziemlich dicke aufgetragen

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Ziemlich dicke aufgetragen

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Drei aktuelle Kriminalromane, die mit Überspitzungen arbeiten – von James Rayburn, Eduardo Mandoza und Monika Geier

James Rayburn: Sie werden dich finden

Kate Swift, ehemalige Geheimagentin, lebt mit ihrer Tochter inkognito in der tiefsten Provinz an der amerikanisch-kanadischen Grenze, seitdem sie ein paar Jahre vorher als Whistleblowerin aktiv wurde und die CIA in Bedrängnis brachte. Als sie an der Schule von Suzie einen Amoklauf verhindert, fliegt ihre Tarnung auf. Die beiden machen sich auf die Flucht – es beginnt eine Hatz rund um die Welt, die schließlich in Thailand ihren Showdown erlebt. Erzählt wird das Ganze im Highspeed-Takkato, mit exponierten Charakteren, viel Tempo, serpentinenartigen Wendungen, jeder Menge Orts- und Zeitwechseln. Das ist durchaus apckend, oft allerdings allzu grob gestrickt und ohne Rücksicht auf Verluste hochtourig geplottet; ein Spannungs- und Agentenroman, der den Wahnsinn der politischen Realität gnadenlos zuspitzt – und zu purer Action macht. Positiv gesagt: Das Problem der Langatmigkeit, unter der viele aktuelle Kriminalromane leiden, hat dieser Roman nicht; für solche Nebensächlichkeiten wie figurenpsychologische Plausibilität hat er kaum Zeit, solcher Kram bleibt in der Boxengasse.

James Rayburn ist das Pseudonym von Roger Smith, einem der bekanntesten Genreautoren aus Südafrika. Einer, der schon bekannt dafür ist, dass er eher klotzt statt kleckert, das kann er allerdings durchaus ausgezeichnet. In „Sie werden dich finden“ (Tropen, Euro 14,95) nimmt Rayburn/Smith Erzählmuster aus dem Spionageroman und packt, so scheint´s, immer und überall, wo es geht, noch eine Schippe drauf. Das Ergebnis: Fesselnde Unterhaltung, durchaus, allerdings fehlt es der Geschichte ein wenig an Witz und Humor, an einem kleinen Augenzwinkern, hier wird mit allem Ernst an der Lockerheit „gearbeitet“, und schöpft Rayburn/Smith das Potential der Story nicht aus.

Eduardo Mendoza: Das dunkle Ende des Laufstegs

Ganz anders, genau umgekehrt sogar, der Ansatz des spanischen Autors Eduardo Mendoza in seinem aktuellen Roman „Das dunkle Ende des Laufstegs“ (Nagel & Kimche, Euro 23). Hier besteht die Überspitzung sozusagen aus Komik in allerlei Facetten, aus Gags, Witzen und Pointen, aus abgedrehten, absurden, surrealen Szenen und Geschichten. Und natürlich aus entsprechenden Charakteren, die extrem schrullig und verrückt sind: Der Erzähler und Ermittler ist ein ehemalige Friseur, der jetzt chinesisches Essen ausliefert, sein „Watson“ ist ein Transvestit, der während der Franko Diktatur bei der Guardia Zivil war. Es geht um ein angehendes Model, das ermordet wurde, um eine finstere Geheimloge gewinngieriger Geschäftsleute – und letztlich um die Gentrifizierung von den 1980er Jahren bis heute, das Barcelona der kleinen Leute also, das Mendoza sehr detailreich und kundig zeichnet.

Eduardo Mendoza, geboren 1943, einer der anerkanntesten Autoren Spaniens, 2016 wurde er mit dem Premio Cervantes, dem wichtigsten Literaturpreis der spanischsprachigen Welt ausgezeichnet. In „Das dunkle Ende des Laufstegs“ macht er sich über alles und jeden lustig, auch über die Genreregeln des Krimi übrigens, hat dabei aber ein ganz ernstes Anliegen, eben die Belange der kleinen Leute in Barcelona. Also: Witzig überzeichnet. Was über weite Strecken gut funktioniert, manchmal aber auch dicke „drüber“ ist, und dann verliert dieser Roman an Struktur und an Klarheit wie an Dymamik. Da wäre eine Prise weniger (Überdrehtheit) sicher mehr (Effekt) gewesen.

Monika Geier: Alles so hell da vorn

Ein Kompromissvorschlag wäre „Alles so hell da vorn“ (Ariadne, Euro 13), der neue Roman von Monika Geier; ein Krimi, der in der – ja, sorry! – Pfalz angesiedelt ist – und bei dem die Gratwanderung zwischen Überzeichnung und Sorgsamkeit im Detail perfekt gelingt. Denn darauf kommt es wohl vor allem an, wenn man mit dem Mittel der Zu- oder Überspitzung arbeitet: dass es einen fruchtbaren Grund gibt, auf dem das Ganze fußt.

Wie immer bei dieser Autorin geht’s um die allein erziehende Kripokommissarin Bettina Boll, die stets leicht verpeilt ist und chaotisch, aber eine kluge Person mit ganz eigene Blick. Diesmal bekommt sie es mit einem Fall zu tun, der einem einzigen Tiefschlag gleichkommt: Ihr Kollege (und ehemaliger Liebhaber) Ackermann ist erschossen worden – in einem schäbigen Bordell, in dem minderjährige Zwangsprostituierte anschaffen. Und es sieht nicht so aus, als habe Ackermann dort irgendwie ermitteln wollen. Die Täterin, eine der Prostituierten, trampt dann in ein Dorf, wo Jahre zuvor ein kleines Mädchen verschwunden ist – und erschießt den Grundschuldirektor, bevor sie sich verhaften lässt. Ein unerklärliches Rätsel, zunächst zumindest, hinter dem, so zeigt sich dann, ein riesiger Fall steckt, bei dem es um Menschenhandel und eben Kinderprostitution und vor allem um korrupte, kaputte Typen geht. Das Ganze führt nämlich, und das macht es dreifach dramatisch für Bettina Boll, auch bis in die höchsten Ebenen der Polizei.

Ganz großartig, wie Monika Geier schreibt, „Alles so hell da vorn“ ist ein packender, atemberaubender Spannungsroman, der sein so altbekanntes wie doch immer wieder aktuelles Thema auf eine kluge Weise erzählt und reflektiert. Toll auch, wie die Autorin mit „der Provinz“ literarisch arbeitet, eben mit dem Mittel der Zuspitzung, dies aber stets durch ihren feinen Strich, durch ihre aufmerksamen, schlauen Beobachtungen und Beschreibungen, durch Variationen und Nuancen konterkarierend. Hinzu kommt eine exakt dosiert platzierte Prise grimmigen Humors, eine sehr spzielle, amüsante schwarzschattierte Situationskomik, die es in sich hat. Spitzenklasse, dieser Roman ist gut, RICHTIG gut!

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