Die Tyrannei der Werteunion

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Die Tyrannei der Werteunion

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Deutsche Parteien haben einen Faible für Kurzformen. Das war schon im Kaiserreich und zu Weimarer Zeiten so, bis heute hat sich daran nicht viel geändert. Von CDU, CSU, SPD, FDP über AfD bis BSW. Die Grünen nannten sich auch mal GAL, aber davon spricht niemand mehr. Und die Linke hieß einst PDS, davor SED. Auch das ist Geschichte.

Kein Akronym hat der jüngste Spross der deutschen Parteienlandschaft, die Werteunion. Sie macht sich die Mühe, ihren Namen auszuschreiben. Auf eine Kurzform haben auch die Piraten – erinnern Sie sich? – verzichtet. Das politische One-Hit-Wonder war allerdings genauso schnell vergessen, wie es gekommen war.

Bei der Werteunion – über deren Aussicht auf ein One-Hit-Wonder zu spekulieren der Autor dieser Zeilen sich verkneift – ist es weniger die Schreibweise als der Name selbst, der aufhorchen lässt. Union, da ist klar, woher das kommt. Schließlich ist die Partei eine Art Ausgründung aus CDU/CSU, der eigentlichen Union. Interessant ist, dass die Sehnsucht nach einer Rückkehr zu den guten alten Zeiten des deutschen Konservatismus, die Neuauflage einer „freiheitlich-konservativen Partei“, wie sie sich nennt, mit einem Begriff versehen wird, den die Anhänger eigentlich scheuen müssten wie der Teufel des Weihwasser: Werte.

Verständigungsmittel der Marktgesellschaft

Ist den neuen und selbsternannten Gralshütern des Konservatismus um Hans-Georg Maaßen etwa entgangen, dass der Begriff „Wert“ unter den Altvorderen ihres Metiers einen zweifelhaften Ruf hat? „Die rein subjektive Freiheit der Wertsetzung“, so befand einst die rechte Ikone Carl Schmitt, „führt aber zu einem ewigen Kampf der Werte und der Weltanschauungen.“ Sein Text „Die Tyrannei der Werte“ aus dem Jahr 1960 stellt den Wert unter Generalverdacht, dem Relativismus das Wort zu reden. Die Philosophen Martin Heidegger und Leo Strauss sahen es ähnlich. Statt ewigen Wahrheiten, Tugenden oder Normen, wird zu ihrem Missfallen schier alles zu Werten, was nicht niet- und nagelfest ist. Werten „wohnt etwas Weichliches inne,“ so der Schriftsteller Karl-Heinz Ott. „Die gesamte Phalanx konservativer Modernitätskritiker“, schreibt er in seinem Buch über die Geschichte des reaktionären Denkens, „zieht gegen einen Werterelativismus zu Felde, der zeitlose Wahrheiten gegen Seifenblasen eintauscht.“

Offenbar entgeht Maaßen und seinen Anhängern auch der ökonomische Unterton des Begriffs. Die Rede von den Werten entstammt der Nationalökonomie des 19. Jahrhunderts: Warenwert, Tauschwert, Mehrwert. Ein Wert ist relativ, veränderlich, zeitgebunden. Er ist Auf- und Abwertungen, gar Umwertungen, unterworfen. Er bezeichnet eben nichts Ewiges, Festes, keinen archimedischen Punkt im Universum der Moral. Werte sind das Verständigungsmittel der Marktgesellschaft. Über sie lässt sich verhandeln. Ein Ausdruck wie „verwerten“ offenbart unmissverständlich, dass es hier nicht um letzte Zwecke geht.

Werte-Gewimmel

Was also soll uns eine Formulierung aus dem Gründungsprogramm der Werteunion sagen, in der es heißt: “Wir treten ein für die Würde und den Wert jedes menschlichen Lebens”? Die Würde und den Wert? Ist Würde allein nicht genug? Was wird besser dadurch, wenn man den höchsten Aussichtspunkt des deutschen Verfassungsrechts, von dem alles ausgeht, durch einen schwammigen Wertbegriff glaubt stützen zu müssen? „Sachen haben einen Wert“, meinte Schmitt, „Personen haben eine Würde.“

Heute stört sich kaum jemand an der geistigen Elastizität des Werts, ganz im Gegenteil, jeder, der was auf sich hält, weiß seine Werte zu beschwören. Man mag die konservative Empörung um das inflationäre Werte-Gerede allerorten deshalb für übertrieben halten. „Da blasen doch bloß ein paar Ewiggestrige die Backen auf!“ Mag sein. Es wimmelt heute nur so von Werten, wo man auch hinschaut, in der Innen- und Außenpolitik, in allen Parteien, stets mit besonders festlicher Miene intoniert. Aber dass nun ausgerechnet unter dem Banner der Werte eine Partei das konservative Rollback ins Werk setzen will, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Es sei denn, der Spaß ist beabsichtigt. Aber eine satirische Partei gibt es ja bereits.

Über den Autor

Jochen Trum ist Leiter der landespolitischen Redaktion des WDR.

2 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Trum,
    wie schade, dass es jetzt sogar schon soweit ist, dass im Bereich der öffentlich rechtlichen Medien alkein der Begriff “Werte” verrissen wird. Meiner Meinung nach ist ein Grundproblem unserer Gesellschaft, dass uns die echten Werte nichts mehr gelten.
    Zur Erinnerung: wichtige Werte wie andere Menschen achten, ein Füreinander statt eines Gegeneinanders pflegen, das Eigentum des anderen anerkennen und nicht zu neiden etc. sind uns lange verloren gegangen. Vielleicht auch, weil die Medien, die eigentlich einen sachlichen Informationsauftrag haben nur noch polarisieren und mehr als Propagandaorgan fungieren denn als Informationsmedien?
    Wäre auch alles okay, wenn ich wie alle anderen nicht gezwungen werden würde, Menschen wie Sie, die solche Artikel wie diesen schreiben, zu finanzieren!

  2. Klaus Keller am

    Den Begriff „Werte“ sehe ich inzwischen auch als Leerhülse an, zu oft missbraucht.
    Bestes Beispiel ist Humanität als „Wert“ in der Asylpolitik.
    Auf der einen Seite sind tausende von Toten im Mittelmeer und der Wüste das Ergebnis und auf der anderen Seite werden die vollkommen vergessen, die zu arm und Schwach für Schlepper sind.
    Als Ergebnis dieser Art Werte haben wir zusätzlich Belastung von Sozialsystem, Arbeits- und Wohnungsmarkt, Forderungen nach Scharia an Schulen (Neuss) und Kleinkriege zwischen libyschen und neuen syrischen Clans (Castrop-Rauxel.)
    Hier setzt die Werteunion mit eher den traditionellen Werten dagegen, aber beide Richtungen basieren auf „Werten“.
    @Susanne, damit ist nicht ausgeschlossen, dass man selbst noch Werte hat. Aber der Begriff allein ohne Erklärung welche Werte man vertritt sagt nichts mehr aus.
    Ein Name im Parteinamen ist im Prinzip genauso ohne Aussage, aber Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine waren so oft in Talkshows, dass man eine Vorstellung von dieser Politik haben kann.
    Bei Maaßen ist das nicht der Fall, da weiß ich nur warum er gehen musste; ein 19 Sekunden Video von Linksextremen in dem Maaßen keine Menschenjagden in Chemnitz sehen konnte. Wobei „Hasi“ nach ein paar Schritten wieder eingefangen war und nichts wird gezeigt wie lange der Linke provozieren musste damit es Hasi zu bunt wurde.
    Daraus eine Umbesetzung im Verfassungsschutz zu konstruieren, sowie eine bis in die Unendlichkeit getriebene Ausweitung vom Begriff „Rassismus“ erklärt, warum jetzt auch der Begriff „Rechtsextremismus“ keine Aussage mehr hat. Es ist damit egal wen der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft.
    Wichtiger als zweifelhafte Etiketten ist der Inhalt.
    Der Wahl-O-Mat ist gute Orientierung, die AfD weist bei mir seit 2015 die größte Zustimmung auf, mit ständig größer werdenden Abstand zu Etablierten. Bündnis Sahra Wagenknecht könnte ähnlich hohe Werte erreichen und bei der Werteunion lasse ich mich einfach überraschen, das sehe ich leidenschaftslos.

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