Kommunalwahl-Nachlese: Wettbewerb der Schönredner

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Kommunalwahl-Nachlese: Wettbewerb der Schönredner

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Von Rudolf Scharping ist nach seiner Niederlage bei der Bundestagswahl 1994 gegen Kanzler Helmut Kohl (CDU) der Satz überliefert, das seien die höchsten Zugewinne für seine SPD seit 1949 – wenn man von den SPD-Zuwächsen in den Jahren 1961 bis 1969 absehe. Alles ist eben relativ in der Politik, vor allem aber Prozent-Ergebnisse bei Wahlen. Legendär auch der Satz “Wir haben die Wahl gewonnen” von Edmund Stoiber (CSU) am frühen Abend der Bundestagswahl 2002, als am Ende dann doch die SPD von Kanzler Gerhard Schröder knapp vorn lag.

Dass Politiker Wahlergebnisse schönreden, ins Positive interpretieren, sich das Schönste rauspicken, gehört zum Geschäft. In NRW gab es 1990 ein unterhaltsames Beispiel, als der damalige Grünen-Landeschef Siggi Martsch in der Düsseldorfer TV-Runde des WDR sehr breitbeinig auftrat, obwohl seine Partei gerade mal mit wackeligen 5,0 Prozent erstmals in den Landtag eingezogen war.

Besonders fulminant fällt die Kunst der Interpretation bei Kommunalwahlen aus, wenn allein die Fülle an Ergebnissen aus Hunderten Gemeinden ein reiches Reservoir an Erklärungsspielraum bietet. Nach den gestrigen Wahlen wurde von NRW-Politikern teilweise schon sehr dick aufgetragen, wenn es darum ging, das Resultat mit einem “Spin”, einem Dreh zu versehen, der der eigenen Partei Deutungshoheit verschaffen soll.

Beispiel FDP. In der Düsseldorfer Runde im WDR-Fernsehen interpretierte der FDP-Landesvorsitzende Joachim Stamp das “durchwachsene” Abschneiden von 5,6 Prozent für die Liberalen so: “Wir haben erlebt, (…) dass natürlich das ganze Thema der Kanzlerkandidatur-Frage von Armin Laschet schon ein Stück die Kommunalwahl bestimmt hat. (…) Es zeigt aber auch, dass wir erfolgreich zusammen regieren.” Die FDP hat also schlecht abgeschnitten, weil Laschet im Mittelpunkt stand, aber trotzdem hat die FDP irgendwie indirekt auch gewonnen? Ministerpräsident Laschet schmunzelte nach Stamps Sätzen.

Beispiel CDU. Armin Laschet, Kandidat für den CDU-Bundesvorsitz, trat schon am Abend schnell vor die Kameras und sagte die denkwürdigen Sätze: “Wir können heute sagen. Die CDU hat diese Wahl gewonnen.” Das vorläufige Endergebnis in der Nacht sah dann so aus: Mit 34,3 holten die Christdemokraten das historisch schlechteste Ergebnis bei Kommunalwahlen in NRW seit 1946. CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen verglich das Wahlergebnis hingegen mit der letzten Europawahl, was dann wiederum schon günstiger aussah für seine Partei. Auf Twitter meldete ein frühere CDU-Bundestagsabgeordneter leise Zweifel an diesem Vergleich an.

Beispiel SPD. Der Landesvorsitzende der Sozialdemokraten, Sebastian Hartmann, räumte im WDR ein, dass man sieben Prozentpunkte gegenüber der letzten Wahl verloren habe. Das sei “schmerzhaft”. Die letzte Wahl liege “allerdings auch einige Jahre zurück”. Das war wirklich mal ein neuer Versuch, eine Wahlschlappe einfach mit dem Faktor Zeit zu erklären. Früher war die SPD halt besser? Hartmann setzte seine Relativierungen fort und verglich das SPD-Ergebnis (Methode Löttgen gewissermaßen) mit der für die SPD noch schlechteren Europawahl 2019. Außerdem verwies er auf Umfragen, die noch größere Verluste vorhergesagt hatten. Interessant: Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken sprach von einem “enttäuschenden Ergebnis”, was ihr Co-Vorsitzender und Rheinländer Norbert Walter-Borjans im weiteren Verlauf des Abends wiederum relativierte. Nowabo sieht – wie Hartmann – eine “Trendwende” für die SPD.

In zwei Wochen wird weiter gewählt in NRW. Ich freue mich schon auf kreative Interpretationen der Ergebnisse am Wahlabend.

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

Ein Kommentar

  1. ich finde es gar nicht verwerflich sich als Sieger dieser Kommunalwahl zu proklamieren. Denn dies ist nun einmal Fakt. Mit gehörigem Abstand vor den anderen Parteien und besonders vor der SPD. Ich finde es eher wieder typisch WDR, der meiner Meinung nach immer wieder eine bestimmte politische Couleur vertritt. Während Tagesschau und heute in ihrer Überschrift aufführen “CDU und Grüne siegen”, steht im wdr “CDU verliert…” Vielleicht einmal in Zukunft couleurfreier unabhängiger Journalismus

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