Wüst-Biografie: Der wandlungsfähige Konservative

https://blog.wdr.de/landtagsblog/wuest-biografie-der-wandlungsfaehige-konservative/

Wüst-Biografie: Der wandlungsfähige Konservative

Kommentare zum Artikel: 4

Die erste Wüst-Biografie beginnt mit einer Ampel in Düsseldorf. Und das ist weder ein Zukunftsszenario, noch ist es politisch gemeint. Es geht um die Szene an einer Fußgängerampel im Regierungsviertel der Landeshauptstadt vor fünf Jahren. Hendrik Wüst, zu dieser Zeit Verkehrsminister, ist zu Fuß unterwegs und trifft einen der Buchautoren – zufällig. An der besagten Fußgängerampel bleibt der Politiker stehen, sie zeigt rot. Obwohl “weit und breit kein Auto” zu sehen ist und sich eine wenig aufregende Gelegenheit zum kalkulierten Regelbruch bietet, betritt Wüst die Fahrbahn nicht.

Sein “Gefahrenscanner” sei nun am Werk, mutmaßen die Biografen. “Du weißt, dass Du permanent unter Beobachtung stehst und jedes verdammte Handyfoto Dich politisch killen kann!” So oder so ähnlich könnte der innere Monolog Wüsts seinerzeit abgelaufen sein. Die Szene ist nicht nur eine Momentaufnahme, sie dient den Journalisten Tobias Blasius und Moritz Küpper als Ausgangspunkt für ihre biografische Annäherung an den CDU-Ministerpräsidenten.

Eines der hervorstechendsten Merkmale des CDU-Mannes ist demnach seine Selbstbeherrschung. Fehlervermeidung um jeden Preis. Auch um den Preis, dadurch gelegentlich etwas hölzern zu wirken. Die Autoren bringen es in dem Satz auf den Punkt: “Er eckt nicht an, will nicht negativ auffallen und hat verstanden, dass in der Berufspolitik das Performative wichtiger geworden ist als das Programmatische.”

Die Biografie zeichnet das anekdotenreiche Bild eines aufstrebenden Polit-Youngsters, seine Höhen und Tiefen, seine Wandlungsfähigkeit oder, wohlwollender, seinen Reifeprozess. Vom politischen Raufbold zum Landesvater. Wüst, der akribische Arbeiter, der nichts dem Zufall überlässt, stets gut vorbereitet ist und der weiß, dass er in jedem Fall versuchen muss, die Deutungshoheit über sein eigenes öffentliches Bild zu behalten.

Wer viel Liebe zum Detail mitbringt, wird bei der Lektüre mit zahlreichen Geschichten aus den Tiefensphären der Landespolitik belohnt. Weggefährten, Gegner, nicht näher benannte Insider, es wimmelt nur so von Menschen aus den Maschinenräumen der Landespolitik und aus den politischen Weiten Nordrhein-Westfalens, die etwas zum Bild des Hendrik Wüst beizutragen haben. Parteiübergreifend. Mosaikartig entsteht das Porträt eines Westfalen, der von Ehrgeiz und einem ausgeprägten Willen zur Macht geprägt zu sein scheint. Und zielstrebig über die Junge Union, als Abgeordneter, als junger CDU-Generalsekretär, als Geschäftsführer des Zeitungsverlegerverbandes, und schließlich als Minister seinen Weg geht. Rückschläge inklusive.

Von Jürgen Rüttgers über Hannelore Kraft bis Armin Laschet – nebenher ist das Buch auch ein Schnellkurs durch die jüngere Landesgeschichte und die Rolle der Union, bis zum Wahlsieg des neuen Ministerpräsidenten und der Bildung der ersten schwarz-grünen Koalition im Land.

Im Mittelpunkt steht die Suche nach dem wahren Ich des Hendrik Wüst. Wo er herkommt und was ihn antreibt, wie aus einem einst stramm konservativen Jungunionisten ein Ministerpräsident wurde, der die Grünen umgarnt und seine Partei daran erinnert, dass ihr Herz in der Mitte schlage, ist auch von anderen schon unter die Lupe genommen worden. Die Autoren Blasius und Küpper gehen weiter und fragen spitz: „Welchen Überzeugungen ist Wüst treu geblieben? Kostümiert sich da einer bloß immerzu für den Zeitgeist?“

Die Diagnose der Autoren lautet, dass Wüst „anschlussfähig wie ein politischer Mehrfachstecker“ sei. Schon als JU-Landeschef seien „tiefsinnige Konzeptpapiere, inhaltliche Aufschläge oder die intellektuelle Kursbestimmung“ erkennbar nicht seine Sache. Wüst wird attestiert, auch „nie ein Mann der feinen rhetorischen Klinge gewesen“ zu sein. „Gerade, weil sich Wüst nie auf ein außergewöhnliches Charisma verlassen konnte, bleibt er als Machtmensch bei Sekundärtugenden. Politik ist für einen wie ihn wohl mehr Management als Passion.“

Wüst erscheint in der Biografie als ein Politikertyp, der sich den jeweiligen Verhältnissen anpassen kann. Das kann man als Ausweis von Professionalität sehen. Man kann nach der Lektüre der 220 Seiten auch folgern, dass sich der innere Überzeugungskern des CDU-Hoffnungsträgers der öffentlichen Analyse entzieht und der Mann in dieser Hinsicht selbst den aufmerksamsten Beobachtern Rätsel aufgibt.

“Hendrik Wüst. Der Machtwandler. Karriere und Kalkül”, von Tobias Blasius und Moritz Küpper. Essen, Klartext Verlag, 2023. 224 Seiten, 22,00 Euro.

Über den Autor

Jochen Trum ist Leiter der landespolitischen Redaktion des WDR.

4 Kommentare

  1. Ein schneller Blick zu Wikipedia, ein Buch über Merz gefunden und bei der Süddeutschen Zeitung den Anfang einer Wertung:

    „Jutta Falke-Ischinger und Daniel Goffart haben ein wohlwollendes, aber nicht unkritisches Buch über das Comeback des Friedrich Merz geschrieben.“

    So wie hier beschrieben sieht das Buch über Wüst nicht nur wohlwollend sondern auch unkritisch aus.

    Für mich ist Wüst unwählbar wegen
    – Handelsbeschränkungen wie 2G/3G bei Corona Omikron
    – Einsetzen für allgemeine Impfpflicht mit hoher Strafandrohung
    – Kompletter Wegfall Mindestabstand bei Windrädern

    Bei Merz bekomme ich allerdings auch Blackrock nicht aus der Erinnerung.

    Das alles ist aber völlig egal, da ich ohnehin kein CDU-Stammwähler bin und dann sehe ich das sehr distanziert, wer mit welchen Mitteln 2025 als Kanzlerkandidat der CDU antreten möchte. Selbst geschenkt würde ich weder das Buch über Wüst noch über Merz lesen. Aber die 38 Antworten zu Fragen vom Wahl-O-Mat werden ich vor der Bundestagswahl aufmerksam durchlesen.

    • Rolf Kullmann am

      Ob man ein Buch kaufen will oder nicht, das bleibt jedem Einzelnen überlassen, ich würde das auch nicht kaufen. Aber das ist auch der einzige Punkt, an dem ich mit Ihnen übereinstimme.
      Es gab und gibt keine Impfpflicht bei Corona. Bei der Impfpflicht gegen Masern sind sich fast alle Experten einig, dass es eine allgemeine Impfpflicht geben muss, insofern ist auch die Haltung des MP in dieser Frage nachzuvollziehen.
      Die Mindestabstandregelung bei Windrädern wurde modifiziert und ist nicht entfallen, bei einer Höhe der WKA von 200 Metern beträgt der Abstand zur nächsten Besiedlung 600 Meter. Bitte halten Sie sich an die Tatsachen, schwurbeln können Sie bei dem Blatt mit den vier Buchstaben

      • @Rolf, ich habe mich an Tatsachen gehalten.
        Wüst ist für mich bereits nicht wählbar, weil er sich massiv für die Impfpflicht mit Strafandrohung eingesetzt hat, auch wenn es am Ende keine Impfpflicht gab.
        Jeder der im Gesundheitswesen auch nur etwas Erfahrung hat weiß, alles was Wirkung zeigt kann auch üble Nebenwirkungen haben; bei Allergie oder Unverträglichkeit können sogar harmlose Stoffe wie Erdnüsse tödlich sein. CDU und SPD haben die Impfpflicht mit Androhung einer hohen Geldstrafe nur fallen lassen, weil die Realität schneller war und weil man beim besten Willen Impfschäden und Unwirksamkeit der Impfung nicht nur bei Einzelfällen nicht mehr wegmanipulieren konnte.
        Jeder der sich etwas mit Viren auskennt weiß, im Normalfall passen sich Viren dem Wirt an und der Wirt den Viren. Es bringt Viren nichts den Wirt umzubringen und dann werden sie (im Normalfall) harmloser und man muss nicht bis zum jüngsten Tag impfen. Omicron-Entdeckerin Dr. Angelique Coetzee in Südafrika war „fassungslos über die Resonanz“ zu Omicron in Europa (lt. Focus vom 8.12.2021) und ich war fassungslos über die Handeslsbeschränkungen 2G/3G in NRW.
        Der Mindestabstand zu Windrädern ist ersatzlos gestrichen. Damit habe ich nicht gesagt, dass es keine anderen Vorschriften gibt die einen Abstand bewirken können.
        Bevor Sie mit der Worthülse „schwurbeln“ um sich werfen sollten Sie genau lesen was jemand mit anderer Meinung wirklich schreibt.
        P.S.:
        Schickt man einen Kommentar ab gibt das System immer eine Fehlermeldung. Das können Sie aber ignorieren und müssen den Text nicht nochmal abschicken.

    • Rolf Kullmann am

      Ob man ein Buch kaufen will oder nicht, das bleibt jedem Einzelnen überlassen, ich würde das auch nicht kaufen. Aber das ist auch der einzige Punkt, an dem ich mit Ihnen übereinstimme.
      Es gab und gibt keine Impfpflicht bei Corona. Bei der Impfpflicht gegen Masern sind sich fast alle Experten einig, dass es eine allgemeine Impfpflicht geben muss, insofern ist auch die Haltung des MP in dieser Frage nachzuvollziehen.
      Die Mindestabstandsregelung bei Windrädern wurde modifiziert und ist nicht entfallen, bei einer Höhe der WKA von 200 Metern beträgt der Abstand zur nächsten Besiedlung 600 Meter. Bitte halten Sie sich an die Tatsachen, schwurbeln können Sie bei dem Blatt mit den vier Buchstaben

Einen Kommentar schicken

Die mit * gekennzeichneten Felder müssen ausgefüllt werden.

Top