Wie Corona uns viele Schabowski-Momente beschert

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Wie Corona uns viele Schabowski-Momente beschert

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Wir erinnern uns an die berühmte Szene mit Günter Schabowski vom November 1989. Gefragt nach dem genauen Termin für die Öffnung der DDR-Grenzen, stammelte der damalige Sekretär für Informationswesen des Zentralkomitees der SED die historischen Worte: “… das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.”

In Corona-Zeiten erleben gerade viele Politiker ihre eigenen Schabowski-Momente. Sie sind fast täglich mit Fragen konfrontiert, die sie ins Schwitzen bringen. Fast im Wochenrhythmus ändern sich die Corona-Regeln. Vorschriften, deren Umsetzung in normalen Zeiten Monate und Jahre dauern würde, müssen in kurzer Folge und “unverzüglich” in Kraft gesetzt werden.

Ungenaue Schein-Konkretisierung

In NRW hatte der Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann in dieser Woche mal wieder seine Schabowski-Momente. Die Alten in den Pflegeheimen werden von Masken- und Testpflichten befreit, verkündete Laumann, und zwar ab … ja, ab wann eigentlich genau? Reporter müssen solche Fragen stellen, weil Ihre Zentralredaktionen solche Fragen stellen. Und weil Reporter solche Schabowski-Situationen für sich selbst auch gerne vermeiden wollen, reichen sie alle denkbaren Fragen gleich an die Minister weiter.

Laumann ist ein Polit-Profi. Deshalb vermied er die Schabowskische Wendung “unverzüglich” und griff zur Laumannschen Variante, die als “ungenaue Schein-Konkretisierung” umschrieben werden kann. Er sagte: “Wir schicken jetzt die Verordnungen raus … also ab morgen oder übermorgen … gestern alle erstellt worden … das geht jetzt schnell”.

Eine Antwort auf die Frage war das natürlich nicht. Der Regierungssprecher, Christian Wiermer, ahnte: Es könnte Nachfragen geben. Deshalb schob er gleich nach, dazu werde noch “gesondert kommuniziert”.

Die Geschwindigkeit überfordert jeden Apparat

Die Zeit drängte. Es mussten ja mal wieder so viele andere Journalisten-Fragen abgearbeitet werden. Wie genau verschärfen Kommunen die Corona-Regeln, wenn sie stabil über einer Inzidenz von 100 liegen? Laumann: “Das LZG macht das dann für uns als MAGS mit den örtlichen Gesundheitsämtern”.

Während das Reporter-Publikum noch die Abkürzungen entschlüsselte, kam auch schon die nächste Frage: Warum haben die Hausärzte noch keine genauen Informationen darüber, wann sie wen in ihren Praxen impfen sollen? Laumann,  gewiefter als Schabowski, konterte mit einer Gegenfrage: Wie denn, bitte schön, die Hausärzte jetzt schon diese Informationen haben sollten, wo doch die Grundsatzentscheidung der deutschen Gesundheitsminister erst gestern um 19 Uhr gefällt worden sei?

Die Frage, wie die Schüler jetzt getestet werden, spielte Laumann geschickt an das Schulministerium weiter. Fast elegant leitete er der EU die Frage zu, ob Grenzregionen bei der Impfstoffversorgung gesondert beliefert werden.

Es ist zum Verzweifeln – für diejenigen, die Fragen stellen müssen und diejenigen, die sie beantworten sollen. Die Ereignisse überschlagen sich in diesen Zeiten. In einer Geschwindigkeit, die jeden Apparat überfordert. So war es in den Wendejahren und so ist es jetzt in Corona-Zeiten.

Über den Autor

Zwei Politikbetriebe durfte ich schon kennen lernen: den in Berlin und den in Brüssel, jeweils als Korrespondent für das WDR-Radio. Jetzt Düsseldorf. Erste Randbeobachtung: In Düsseldorf haut man sich heftiger. Im parlamentarischen Schlagabtausch werden die Kontrahenten auch gerne mal persönlich. Obwohl sich alle so gut kennen. Oder vielleicht gerade deshalb. Politikbetrieb Nummer Drei scheint spannend zu werden.

3 Kommentare

  1. Dr. Peter Walzel am

    Waren heute beim Hausarzt in Dormagen. Er hat berichtet, dass zum Impfen auserkorene Hausärzte wohl noch per Los bestimmt werden, d.h., dass nicht alle beauftragt werden. Diese Hausärzte sollen darüber hinaus nur Personen unter 70 Jahre impfen dürfen und diese nach medizinischem Bedarf bzw. Vorerkrankungen auswählen. Alle Personen über 70, ob mit oder ohne Vorerkrankungen, werden in den Impfzentren geimpft und müssen sich auf die meist beschwerliche Suche nach einem Termin machen. ……keine besonders rosigen Aussichten!

  2. Wenn ich so oft die Empfehlung lese, dass man dies oder jenes beim Hausarzt klären soll, dann frage ich mich, ob denn immer noch unbekannt ist, dass es auf dem Land immer weniger Hausärzte gibt und dies zur Folge hat, dass viele Menschen keinen Hausarzt mehr haben?

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