Fachkongress, Festival, Messe: Die SXSW (South by Southwest) in Austin (Texas) ist eine aus deutscher Sicht eher ungewöhnliche Veranstaltung. Aber eine ausgesprochen erfolgreiche. Hier treffen sich Digital Natives, Digitalexperten, Branchenvertreter und – seit einigen Jahren – auch Politiker, um (unter anderem) über die gesellschaftlichen Einflüsse der Digitalisierung zu sprechen.
Zwar werden auch neue Gadgets vorgestellt, Produkte gezeigt und Firmenphilosophien diskutiert – aber der Blick in unsere Zukunft ist ein wesentlicher Aspekt der SXSW.
Amy Webb zeichnet eine düsteres Bild
Eine Rednerin zieht besonders viele Zuhörerinnen und Zuhörer an: Amy Webb. Sie ist Zukunftsforscherin, Professorin an der New York University und Gründerin des “Future Today Institute”, das viele Unternehmen berät. Lange Warteschlangen … Kein Wunder: Die populäre Trendforscherin hat über 300 Entwicklungen und Trends prognostiziert, die uns in den nächsten Jahren erwarten.
Einige davon hören sich gar nicht gut an. So sagt Amy Webb zum Beispiel voraus, dass schon 2021 mehr als die Hälfte aller Interaktionen mit dem Internet durch Sprache erfolgen. Wir reden also immer mehr mit Alexa, Google Home und Co. Aber auch viele andere Geräte werden per Sprache ansteuerbar sein: Steckdosen, Küchengeräte, Fernseher, Lampen. Klar, dass dabei jede Menge Daten (mehr) anfallen. Und es macht Amy Webb auch nichts aus, dass die Geräte sogar Emotionen werden wahrnehmen können.
Jörg Schieb im Gesprüch mit Thomas Knuewer
Privatsphäre adé: Und jetzt?
Ihr Fazit: Privatsphäre adé. Damit müssten wir uns abfinden, meint Webb. Und wenn es sowieso nicht zu verhindern ist, sollten wir doch wenigstens das Beste daraus machen. Etwa: Die Daten so speichern, dass wir sie jederzeit mitnehmen können. Und die so aufbereiten, dass die Allgemeinheit etwas davon hat. Unsere Daten sollten also – natürlich anonymisiert – allen gehören, damit sich Analysen starten oder Apps entwickeln lassen, die schlaue Dinge tun: Verkehr besser steuern, Epidemien vorhersagen, uns automatisch Kuschel-Rock vorspielen, wenn wir uns nicht gut fühlen.
Wenn es nicht gut kommt, verdichtet sich die Macht der Onlinekonzerne noch – und am Ende können sich nur die Reichen noch Privatsphäre leisten, weil sie Technologien kaufen können, die Datenabfluss verhindern. Keine rosigen Aussichten – aber Amy Webb frustriert das nicht. Vielleicht, weil sie der Industrie beratend dabei hilft, das Beste aus den Datenbergen zu machen. Brancheninsider Thomas Knuewer – ein Urgestein der deutschen Digitalszene – nimmt es auch sportlich: “Daten wurden schon immer erhoben”, sagt er (das ganze Gespräch im Video).
Ich bin verschreckt – und fürchte: Es kommt noch viel dicker als jetzt schon. Aller höchste Zeit, mehr für den Datenschutz zu tun – allerdings das Richtige! Die Chancen erkennen, die Risiken abwenden. Das ist die Herausforderung jetzt.
Ein Kommentar
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“…uns automatisch Kuschel-Rock vorspielen, wenn wir uns nicht gut fühlen.”.
Mit Vollgas in eine Gesellschaft voller fremdbestimmter Psychos. In der Tat, beunruhigende Aussichten. Die pharmazeutische Industrie wird sich jedoch freuen. Ray Bradburys “Fahrenheit 451” lesen. Da wird genau eine solche “Gesellschaft” beschrieben. Übel, sehr übel. Ich will das nicht mehr erleben müssen.