Europa will Datenkontinent Nr. 1 werden

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Europa will Datenkontinent Nr. 1 werden

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EU-Digital-Kommissarin Margrethe Vestager ist dafür bekannt, unerschrocken die großen US-Konzerne mit Nachdruck zu kritisieren – und ihnen auch klare Grenzen zu stecken. Soweit das heutzutage angesichts der Uneinigkeit in einer Europäischen Union und vor allem in einer globalisierten Welt überhaupt möglich ist.

Doch nun geht sie einen entscheidenden Schritt weiter: Mit konkreten Ideen und Plänen will sie die EU aus den Klauen der US-Riesen befreien.

EU-Digitalkommissarin Magrethe Vestager; Rechte: WDR/Schieb

EU-Digitalkommissarin Magrethe Vestager will Europa zu einem “Datenkontinent” machen

Data Governance Act: Den Schatz der Daten heben

Vestagers Ziel: Europa soll Datenkontinent Nummer 1 werden. Das “Data Governance Act” getaufte Konzept klingt äußerst ambitioniert, wenn man den Vorsprung der Amerikaner und übrigens aus der Asiaten bedenkt. Aber: Ambitioniert ist gut. Denn alles andere reicht nicht, um sich aus den Klauen der US-Konzerne zu befreien.

Vestager will das Potenzial von Daten heben, die im Besitz von Unternehmen, aber auch von öffentlichen Stellen und privaten Menschen sind. Ein Stichwort sind “Datenspenden”. Würden Krankenhäuser, Labore und auch Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel in der Corona-Krise möglichst viele Daten bereitstellen (und “spenden”), ließe sich die Forschung in Europa enorm voranbringen.

So könnten EU-Bürger zum Beispiel freiwillig Gesundheitsdaten nach einer Corona-Infektion “spenden”, um der Forschung konkrete Informationen über den Krankheits- und Genesungsverlauf an die Hand zu geben. Derartiges wäre in vielen Bereichen denkbar, auch bei Ernährungs- oder Mobilitätsgewohnheiten.

Weniger Big Brother durch Datentreuhänder; Rechte: WDR/Schieb

Weniger Big Brother durch Datentreuhänder

Datentreuhänder anstatt Datenverwerter

Das funktioniert aber nur, wenn die Menschen Vertrauen haben. Hier kommt das Konzept der Datentreuhänder zum Einsatz: Diese sollen in Europa sitzen (strenger Datenschutz!) und die Daten nicht wirtschaftlich verwerten dürfen. Die Treuhänder sind nur Vermittler der Daten, nicht Verwerter. Ein kompletter Gegenentwurf also zu Google, Facebook, Amazon und Co., die alles zum eigenen Nutzen ausschlachten.

Wirtschaft und Bürger sollen die komplette Kontrolle über ihre Daten behalten. Trotzdem sollen die Daten zur Verfügung stehen, vor allem dem Gemeinwesen. Das ist ein sehr interessanter Ansatz.

Weniger Macht für die US-Konzerne

Beispiel: Marktplatz. Wieso nicht einen europäischen Marktplatz schaffen, wo jeder seine Waren verkaufen kann? Anders als bei Amazon, wo ein Unternehmen sich alle Daten einverleibt und Partner, Händler und Hersteller übervorteilt. Etwa, indem besonders erfolgreiche Produkte identifiziert und dann als Eigenmarke auf den Markt gebracht werden.

Eine EU-Lösung könnte so etwas verhindern. Ein Ansatz für ganz neue Ideen und Konzepte – und zugleich ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit von US-Cloud-Diensten. Das kann nur richtig sein.

Wie das alles ganz genau aussehen soll, muss jetzt erarbeitet werden.

Es gibt die Idee für eine eigene EU-Plattform – auch für Inhalte

Über den Autor

Jörg Schieb ist Internetexperte und Netzkenner der ARD. Im WDR arbeitet er trimedial: für WDR Fernsehen, WDR Hörfunk und WDR.de. In seiner Sendung "Angeklickt" in der Aktuellen Stunde berichtet er seit 20 Jahren jede Woche über Netzthemen – immer mit Leidenschaft und leicht verständlich.

6 Kommentare

  1. Das Problem sind nicht die vorhandenen oder nicht vorhandenen Daten, sondern die Geschäftsmodelle – die Geschäftsmodelle von Amazon, Facebook oder Google beruhen auf Daten und deren clevere Auswertung; das macht diese Unternehmen erfolgreich. Einfach Daten zu sammeln ist kein Geschäftsmodell und daher zum Scheitern verurteilt. Die Reihenfolge ist: Geschäftsmodell -> welche Daten brauche ich dafür -> wo bekomme ich die her. Auf Vorrat Daten sammeln oder kodieren wird in der agilen Welt als “Waste” = Müll bezeichnet.

  2. Wie wäre es denn, wenn die EU die MyData.org – Deklaration unterschreibt, bevor die erwünschte Datensammelei losgeht. Dort werden (in Europa) seit Jahren Konzepte für den Schutz persönlicher Daten entwickelt. Infolge Technologieführerschaft überlassen hierzulande alle ihre Daten alternativlos Monopolanbietern. Krokodilstränen helfen da nicht weiter. China, Russland aber auch Tschechien haben mit Kraftanstrengungen eigene Alternativen geschaffen, von denen wir hierzulande nicht mal träumen können. Nötig sind vertrauenswürdige Lösungen. Man könnte ja europäische Datenspeicher schaffen, auf die garantiert niemand Zugriff erlangen kann, auch nicht unser eigener Geheimdienst. Amazon ist solcher Bedarf vor nicht sehr langer Zeit zugewachsen. Microsoft hat dies noch rechtzeitig als Geschäftsmodell erkannt. Nehmen wir doch erstmal einen alten Bunker und stellen dort Server rein, oder nehmen die, die schon dort stehen. Es gibt sogar Leute, die sich mit deren Betrieb auskennen. Vielleicht geht es auch mit legalen Daten. Die Herren dürfen als Strafe den Betrieb weiter organisieren. Beaufsichtigung aber bitte nicht durch Geheimdienste oder Exekutive sondern durch einen demokratisch gewählten Nutzerbeirat. Wenn ich meine Daten wirklich sicher und selbstbestimmbar auslagern kann, werde ich dafür gerne bezahlen und mir fallen auch jede Menge Anwendungen ein, für die ich auch bezahlen würde. Erst wenn ich darauf vertrauen kann, dass meine Daten sicher sind, werde allein ich entscheiden, welche Daten ich wem zur Verfügung stelle. Hintertüren sind das genaue Gegenteil. Eine Spende setzt für mein Verständnis Bedürftigkeit voraus. Das hört sich für unser großartiges Europa eher hilflos an.

  3. Mein Schatz gehört mir.
    Es ist keine Verbesserung von der EU ausgeraubt zu werden statt von US-Unternehmen.
    Zwar bin ich geizig aber je nach Grund könnte ich mich durchaus bereit erklären etwas von meinem Datenschatz zu spenden. Das Problem dabei ist jetzt natürlich, wenn man so viel Unsinn in der Vergangenheit gehört hat und so oft heimlich beklaut wurde wird man ganz besonders kritisch. Mit der EU habe ich noch einige Menge andere Probleme die man hier nicht ausdiskutieren muss aber dahin werde ich bestimmt nicht freiwillig “spenden”.

    • Das ist schade. Denn es macht schon einen erheblichen Unterschied, ob man anderen die kommerzielle Ausschlachtung ermöglicht — ohne jede Kontrolle. Oder ob man die Kontrolle behält und damit Projekte unterstützt, die sinnvoll sind und dem Gemeinwohl dienen (so zumindest die Theorie).

    • @Lin Ux: Seh’ ich ähnlich. Mehr meiner Daten, als jene, die ohnehin schon am Frankfurter DE-CIX von Hinz und Kunz abgeschnorchelt werden, bekommt von mir garantiert auch niemand. Paar Browser-Cookies würde ich denen vielleicht spenden … dann aber auch nur verschlüsselt. ;-)

  4. Jeder sollte solch einem Konzept eine gewissen Offenheit entgegenbringen. Weltweit werden Fakten geschaffen und die EU liegt mir näher als eigentlich alles andere.

    Doch auf die Gefahr hin das ich mich wiederhole.

    Ich würde wetten das Sicherheitsbehörden natürlich Zugriff auf die Schätze der Datentreuhänder haben.
    Und ich würde wetten natürlich auch EU-Staaten deren Rechtsstaatlichkeit fraglich ist.

    Und ich würde wetten das spätestens jetzt die Bürger keine Kontrolle und Transparenz mehr haben.

    Es wäre toll wenn ich mich irre.

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