Whistleblowerin Frances Haugen in Brüssel: Das EU-Parlament hat die Chance ergriffen und sich von der Ex-Facebook-Mitarbeiterin erklären lassen, wie der Konzern funktioniert. Das ist gut so. Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob man Funktionsweisen nur liest – oder ob sie jemand anschaulich und eindringlich erläutert. Frances Haugen schwurbelt nicht herum. Sie ist in ihrer Kritik unmissverständlich – und in der Sache präzise.
Haugen: “Ernsthafte Gefahr für die Demokratie”
Frances Haugen hat bei der Anhörung vor dem EU-Parlament erneut Facebook als “ernsthafte Gefahr für die Demokratie” beschrieben. Und dem EU-Parlament auch ein wenig Honig ums Maul geschmiert: Die EU könne mit ihren geplanten Regularien, die sich “Digital Services Act” (DSA) und “Digital Markets Act” (DMA) nennen und vor allem die Macht der großen Konzerne einschränken sollen, zu einer Art Goldstandard für die Welt werden. Auch für die USA.
Das ist in der Tat denkbar. Auch in den USA ist die Stimmung längst gekippt. Vor allem Facebook wird zunehmend kritisch gesehen – und man kann den Wunsch nach Regulierung förmlich mit den Händen greifen. Selbst in dieser “freien Welt” also.
Die Frage ist: Wie? Denn zu starke Regulierung, etwa was die Inhalte betrifft, die auf einer Plattform zirkulieren, kann auch schnell als “Zensur” verstanden werden oder sogar eine solche sein. Denn auch in Europa ist es nicht überall gut um die Meinungsfreiheit bestellt.
Mehr Transparenz: Offenlegung der Prinzipien
Einige Maßnahmen, die Frances Haugen vorschlägt, scheinen aber in der Tat sinnvoll und dringend erforderlich. Das gilt vor allem für die Transparenz: Ein Unternehmen wie Facebook muss nicht seine Geschäftsgeheimnisse verraten. Wohl aber Bericht erstatten, welche Schwierigkeiten es gibt (etwa, wenn es um Stärkung radikaler Gruppierungen geht) – und wie man als Unternehmen diese zu bekämpfen gedenkt. Dann müssen sich aber auch Überprüfungen und Rechtfertigungen anschließen.
Facebook muss seine Algorithmen nicht in technischer Hinsicht offenlegen, wohl aber erklären, wie sie funktionieren. So etwas nennt sich “kompetente Transparenz”. So wie jeder von uns gezwungen ist, dem Finanzamt seine Einkommenssituation offenzulegen, so muss ein Konzern wie Facebook erklären, wie die Algorithmen prinzipiell funktionieren. Und nötigenfalls nachjustieren, wenn das verlangt wird.
Facebook versucht das mit aller Macht zu verhindern. Denn Facebook will seine “Cash Cow” nicht schlachten. Das würde aber passieren, wenn nicht mehr alles unter dem Gesichtspunkt der Profitmaximierung entschieden wird, sondern unter dem Aspekt des Gemeinwohls.
Ein Ende für das Microtargeting?
Denn das könnte und müsste am Ende auch bedeuten, sich von der perfektionierten Methode des “Microtargeting” zu verabschieden. Vieles wäre gar nicht möglich (etwa gezielte Wahlmanipulation), wenn Facebook nicht in der Lage wäre, quasi jedem Menschen auf diesem Planeten präzise zugeschnittene und perfekt passende Botschaften (Werbung) zu präsentieren. Wäre das verboten, würden sich viele Probleme in Luft auflösen – dann würde der Konzern aber empfindlich weniger verdienen.
Nicht zuletzt aus diesem Grund war es wohl eine strategische Ankündigung von Facebook, angeblich 10.000 Arbeitsplätze in Europa für das Metaverse-Projekt zu schaffen. Wie eine Drohung: Ihr wollt doch nicht diese Arbeitsplätze gefährden?
Der Besuch von Frances Haugen hat die Probleme mit Facebook nicht gelöst, hat die EU aber vielleicht einer Lösung näher gebracht. Die Dringlichkeit dafür ist deutlich geworden, denke ich.
Die “Facebook Files” im Wall Street Journal (WSJ) haben den Stein ins Rollen gebracht
2 Kommentare
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Mit Digital Services Act (DSA) kann ich nichts anfangen, bei Internet-Zeugs sind Piraten die erste Adresse und da habe ich eine Stellungnahme zum Entwurf für das EU-Palamant von Patrick Breyer gefunden:
„Der industrienahe Vorschlag der EU-Kommission lässt das überwachungskapitalistische Geschäftsmodell des lückenlosen Ausspähens und Auswertens der Internetnutzung der Menschen unangetastet. Zum Schutz vor Identitätsdiebstahl brauchen Nutzerinnen und Nutzer auch ein Recht auf anonyme Internetnutzung – dieser Entwurf aber deklariert legitime Anonymität sogar als Risikofaktor.“
Weiter spricht er von „fehleranfälliger Uploadfilter-Zensurmaschinen“ und „grenzüberschreitende Löschbefehle ohne richterliche Anordnung“.
„Das ist nicht mein Duktus“, aber im Kern sage ich nichts anders.
Auf der anderen Seite habe ich Axel Voss von der CDU/EVP gefunden und im etwas älteren Punktepapier stößt Forderung Nr. 5 besonders auf. Nichts gegen „Meldewege zur Beschwerde bei strafbaren Inhalten im Netz“ aber bei „proaktiven Maßnahmen“ wird es heikel. Echte Zensur kommt im 2.Absatz:
„Für nicht strafbare, jedoch gefährliche Inhalte („harmful content“) ist eine Regelung zu finden, die die europäische Zivilgesellschaft einbezieht und sich an europäischen Grundrechten orientiert.“
„Nicht strafbare, jedoch gefährliche Inhalte“ ist das Gegenstück was hier unter die Worthülse „Hass und Hetze“ fällt, eine Hülse die man beliebig füllen kann von einer „europäische Zivilgesellschaft“, die man beliebig auswählen kann und in der Blase soll entschieden werden wer außerhalb der „Zivilgesellschaft“ zensiert werden soll.
„Overblocking ( ) gegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit“ in Forderung 7 repariert das nicht, das ist einfach nur ein Widerspruch.
Aber wenn es um Zensur von Radikalen geht, müsste das in alle Richtungen gelten. Der Karikatur hier ähnlich einem HB-Männchen könnte man kindliche Züge verleihen und ein FFF-Schild in die Hand drücken, passt genauso gut; oder man schaut sich den Gesichtsausdruck von Greta an als Trump in Davos an ihr vorbeiging.
Die Grundfunktionen der Algorithmen sind simpel, man mauert sich eine Blase. Das rechtfertigt aber keine Aufweichung der Meinungsfreiheit nach belieben, egal welche Blase man sich mauert.
Ob das dann auch bei der Shufa, Crif Bürgel & Co ankommt ?
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Denken wir nicht zu kurz und schauen nur auf Facebook. Eine generische Regulation dürfte und sollte viele treffen, deren Algorithmen unser Leben schon heute bestimmen.