KI lässt Verstorbene sprechen – wo bleibt da die Moral?

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KI lässt Verstorbene sprechen – wo bleibt da die Moral?

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Künstliche Intelligenz (KI) ist für die meisten eher eine Art “Black Box”: Wie neuronale Netze funktionieren, was KI-Systeme können und was nicht – davon haben viele keine konkrete Vorstellung.

Und weil die Industrie den Begriff mittlerweile überall verwendet, regelrecht inflationär (selbst Kaffee-Automaten wird KI untergejubelt), scheint auch das nicht unmöglich: KI soll uns unsterblich machen. Natürlich nicht im wahrsten Sinne des Wortes, aber doch im übertragenen Sinn.

Algorithmen entscheiden, was erinnerungswürdig ist; Rechte: WDR/Schieb

Algorithmen analysieren Postings, Fotos, Sprachaufnahmen und Interviews

KI entscheidet, was erinnerungswürdig ist

Das Silicon Valley bietet tatsächlich mittlerweile Dienste an, die eine Form von dauerhafter Erinnerung und Vermächtnis erlauben. Eine neue Form von Weiterexistieren. KI-Systeme werden entsprechend trainiert, damit sie wie Menschen reagieren, die bereits verstorben sind. Kein Blättern in Fotoalben oder Anschauen von Videos, sondern Interaktion.

Beispiel: Das amerikanische Startup Hereafter. Wer hier Kunde wird, kann sein Vermächtnis vorbereiten. Er oder sie kann Geschichten erzählen, Erinnerungen hinterlassen. Algorithmen analysieren dann alles. Auf diese Weise entsteht ein digitaler Klon. Eine Kopie.

Zwischen Trost und spooky

Das Versprechen: Angehörige können nach dem Tod noch mit den Verstorbenen sprechen. Das geht sogar per Alexa. Oder Google.

“Was war Dein schönster Urlaub?” Zu hören sind nicht nur die Erinnerungen der verstorbenen Person, sondern sogar ihre Stimme. Das kann manch einem vielleicht Trost spenden, ist aber vor allem eins: spooky.

Das Erinnern mit Hilfe von KI ist zum Geschäftsmodell geworden

Digitale Seele – Arten des “Weiterlebens”

Moritz Riesewieck und Hans Block haben darüber ein Buch geschrieben: “Die Digitale Seele”. Sie berichten von diversen solcher Projekte. Denn es scheint ein Trend zu sein: Viele wollen digital weiter existieren.

Doch es gibt Risiken. Wer soll zum Beispiel bestimmen können, dass so ein digitaler Klon entsteht? Die Algorithmen entscheiden schon, was erinnerungswürdig ist. Und vor allem: Was macht so etwas mit den Hinterbliebenen?

Experiment in Korea: Mutter trifft in der VR ihre verstorbene Tochter wieder

Risiken inklusive

Manche mögen es genießen. Andere könnte es verstören. Wie das Beispiel aus Korea zeigt: Hier hat eine Mutter in der Virtual Reality ihre verstorbene zehnjährige Tochter wiedergetroffen, die nach vorhandenen Fotos, Videos und Tonaufnahmen rekonstruiert wurde.

Da einige Anbieter auch das analysieren, was wir im Netz und in den Sozialen Netzwerken hinterlassen, braucht es wohl dringend Regeln – moralische, ethische und auch juristische. Denn eins hat das Silicon Valley gezeigt: Womit die Startups einmal anfangen, das hört nicht wieder auf. Wir sind gut beraten, rechtzeitig Regeln aufzustellen.

Cosmo Tech Podcast: Unsterblich werden mit Hilfe von KI

 

Über den Autor

Jörg Schieb ist Internetexperte und Netzkenner der ARD. Im WDR arbeitet er trimedial: für WDR Fernsehen, WDR Hörfunk und WDR.de. In seiner Sendung "Angeklickt" in der Aktuellen Stunde berichtet er seit 20 Jahren jede Woche über Netzthemen – immer mit Leidenschaft und leicht verständlich.

4 Kommentare

  1. Carsten Mohr am

    Wie sagte es einmal jemand?! Das Internet und die Nutzer sind ein gäriger Haufen. Oder anders gesagt, wir sind gerade bei Sekunde 0,01 des Urknalls des Internets, der grenzenlosen Kommunikationsmöglichkeit mit beinahe jedem auf dieser Welt. Das muß sich setzen, abscheiden, ausbilden, sich manches auch verlieren. Die Gesellschaft (weltweit) ist nicht die Gesellschaft bei uns in Deutschland, oder Griechenland, oder Thailand. Gelebter Glaube gegen schwindenden. In sicherer Armut lebend oder in Wohlstand. Das alles gehört dazu und es gibt nicht die eine Moral, die eine Ethik, und was wir für uns als gut heißen, finden andere nur irrsinnig und abwegig, wollen anders leben. Mit den Toten reden ist in vielen Kulturen Gang und Gäbe.
    Ich habe, auf Anregung eines Kommentators hier, den Film “Dilemma mit den sozialen Netzwerken” angesehen. Die Beeinflußbarkeit des einzelnen wird sich zu Nutze gemacht und für einen “höheren” Zweck genutzt. Dieser “höhere” Zweck ist kein besserer, aber einer der über dem des Einzelnen liegt und nur aufgrund derer Vielzahl funktioniert. Es ist aber ein doch sich selbst regelndes System.
    Wir sind im Urknall dessen allem. Wir können was tun, wir sollten auch was tun. Gestalten wir mit, Tag für Tag.
    Steve Jobs sagte mal, wichtig sei, was die Menschheit weiter bringt. Nicht nur den einzelenen, sondern den Menschen in der Gesamtheit.
    Und ist der Gedanke, von den Hinterbliebenen immer noch erreichbar, ansprechbar und bedacht zu werden, nicht schön und nimmt zu einem Teil die Angst vor dem Sterben? Vor allem die Angst davon, dass meine Lieben mir wegsterben?
    Eine Art moderne, digitale Religion – Glauben.

  2. Vielen Dank für den Hinweis. Auf solche Möglichkeiten warte ich schon lange. Bitte nicht gleich paternalistisch alles verbieten. Soll doch jeder selbst entscheiden.
    Seit vier Jahren muss ich den Demenz-Verfall meines Schwiegervaters aktiv miterleben. Das, was von dieser Intelligenz noch übrig ist, kann nach unseren Maßstäben keine vernünftige Entscheidung mehr treffen. Da würde es schon viel Auftrieb bei der Pflege geben, wenn man sich mal wieder wie früher mit ihm unterhalten könnte. Muss nichts neues sein 1:1 reicht schon. Und bei der nächsten Bundestagswahl könnte ein wenig KI-Unterstützung für den Helfer auch sinnvoller sein, als eine Entscheidung aus dem Bauch heraus, oder womöglich als Verlängerung der eigenen Präferenzen. In 93 Jahren eines Lebens wird sich schon einiges an Meinungen und Lebensweisheit angesammelt haben, was nur der Betroffene und vielleicht seine KI wissen. Auch konnte der arme Mann seit vier Jahren seine Patientenverfügung nicht mehr aktualisieren. Die gilt schon gar nicht mehr, weil ein Rechtsanwalt in der Formulierungssuppe ein Haar gefunden hat. Ich persönlich würde im Zweifel meiner KI mehr vertrauen, als meinen überforderten Verwandten oder als einem vom Gericht bestellten Pfleger. Damit das Wichtige nicht untergeht, darf die KI auch gerne das Geburtstagsessen zu 43. Geburtstag mit alle Gästen und Haupt- und Nachgängen vergessen. Unsere natürliche Intelligenz macht es doch auch so – nur halt bei meinem Schweigervater leider etwas zu gründlich,
    Und wieso bitte, soll sich eine Mutter nicht mit ihrer verstorbenen Tochter unterhalten dürfen. Generationen von Spiritisten haben nach solchen Möglichkeiten gesucht und alle Gläubigen dieser Welt hoffen auf ein Paradies in dem das möglich ist. Nur wie es funktionieren soll, weiß halt keiner so recht. Sollten wir das Paradies vielleicht lieber doch verbieten; weil der Teufel im Detail steckt?
    Am ärgerlichsten ist, dass mein Klon dann in America gefangen sein wird, weil es hier bei uns wieder einmal keine Angebote gibt. Bei meinem Alter habe ich wohl keine Aussicht, dass hier noch eine brauchbare und womöglich sogar DSGVO-gerechte Alternative verfügbar sein wird. Her mit dieser KI, so schnell und so gut wie möglich. Und damit die KI das Erbe nicht komplett an den Softwareentwickler überweist, dürfen wir auch gerne etwas regulieren.

    • Ich habe nicht davon gesprochen, etwas zu verbieten — lediglich, dass solche Angebote ethisch und moralischen Ansprüchen genügen müssen und ggf. sich auch einem Check unterziehen sollten. Und – ja: Es sollte nicht erlaubt sein, einen solchen “digitalen Klon” ohne Zustimmung der/des Betroffenen, das finde ich schon.

  3. Ein digitales, interaktives Wachsfigurenkabinett – ebenso tot, wie die dort präsentierten Figuren. Sich mit diesen toten Seelen zu “unterhalten”, dürfte unter’m Strich so attraktiv und nachhaltig sein, wie der Geschlechtsverkehr mit einer “lebens- und gefühlsechten” Premiumgummipuppe, die lustvoll “I love you!” stöhnt. Oder, wie der Volksmund es etwas platt* formulieren würde: “Schön, aber Du hast Dich trotzdem nur selbst gef….!*”.
    Daher bedarf es eigentlich auch keiner besonderen Regeln. Wer das interaktiv nutzt und v.a. auch noch an die vorgekaukelte Realität dieser Interaktion glaubt, dem ist -zumindest im Rahmen dieser digitalen Geisterbahnfahrt durch KI-optimiertes, aber trotzdem nur abgespult-simuliertes Verstorbenengequassel- wohl kaum noch irgendwie zu helfen.
    *Pardon für diese Plattitüde. ;)

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