Telegram, die Manipulationsmaschine

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Telegram, die Manipulationsmaschine

Kommentare zum Artikel: 13

Eine aktuelle Studie der Universität Leipzig lässt aufhorchen: Danach glauben mittlerweile 30,4 Prozent der Deutschen mehr oder weniger an Verschwörungen. An Mächte, die unsere Geschicke lenken.

Gut 38 Prozent glauben sogar, es gebe “geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben”. Politiker seien nur “Marionetten der dahinterstehenden Mächte”.

Verschwörungstheorien rund um Bill Gates; Rechte: WDR/Schieb

Verschwörungstheorien rund um Bill Gates explodieren im Netz

Viele Verschwörungen im Kern antisemitisch

Geheime Organisationen – nicht etwa Konzerne oder Lobbyisten. Und: Viele Verschwörungserzählungen sind im Kern antisemitisch, so auch die der QAnon-Anhänger. Die Internet-Plattformen sind zwar nicht der Grund dafür, aber doch ein Turbolader bei der Verbreitung.

Facebooks Algorithmen präsentieren seit zwei Jahren bevorzugt Meldungen von Freunden und Bekannten, zum Nachteil von seriösen Quellen. So erreichen emotional aufgeladene “Nachrichten” noch schneller mehr Menschen als ohnehin schon. Fake News verbreiten sich generell in allen Kanälen sechs Mal schneller und erreichen deutlich mehr Menschen als seriöse, wahre Nachrichten. Warum? – Weil sie emotionaler sind. Ein Leckerbissen für die aufmerksamkeitsgetriebenen und auf Umsatzoptimierung zugeschnittenen Algorithmen von Facebook, Youtube, Instagram und Co.

Die Sozialen Netzwerke gefährden nach Ansicht vieler Experten zunehmend die Gesellschaft; Rechte: WDR/Schieb

Auf den Plattformen verbreiten sich Falschmeldungen besonders schnell und effektiv

Telegram ist schrankenlos – und besonders gefährlich

Der Messenger-Dienst Telegram ist in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme. Denn hier gibt es keine Algorithmen, die Content zum Zwecke der Umsatzoptimierung bevorzugen oder benachteiligen. Telegram ist – sozusagen – “echt”. Hier machen die User alles untereinander aus.

Ein zunehmendes Problem. Denn jeder kann auf Telegram einen öffentlichen Kanal öffnen, dem dann jeder folgen kann. Es gibt keine Begrenzung der Teilnehmerzahl.

Es gibt Kanäle wie “Qanon Change”, die 120.000 und mehr Mitglieder haben. Die Betreiber der Kanäle erreichen also sehr viele Menschen – ohne nur die geringste Möglichkeit zur Kontrolle. Auf Facebook, Twitter und Co. gibt es wenigstens ein Minimum an Kontrolle, auch Hinweise auf Falschmeldungen und die Möglichkeit, Posts zu entfernen. Auf Telegram fehlt das völlig.

Verschwörungserzählungen haben es auf den Plattformen besonders leicht

Der größte Stammtisch der Welt

Telegram ist sozusagen der größte Stammtisch der Welt. Doch es macht eben einen enormen Unterschied, ob 10 oder 20 Leute am Stammtisch sitzen und sich ihre Sorgen von der Leber reden – oder ob einige wenige zu 120.000 oder mehr Menschen sprechen. Sie manipulieren, mit falschen Infos versorgen, ihre Zeit rauben, aufwiegeln und aufstacheln. Telegram ist damit zum effektiven Manipulationsinstrument geworden – und das auch noch kostenlos.

Stellt sich die Frage: Wie können wir den Geist wieder in die Flasche kriegen?

Cosmotech Podcast: Was tun mit Telegram?

Cosmotech Podcast: Was tun mit Telegram?

Über den Autor

Jörg Schieb ist Internetexperte und Netzkenner der ARD. Im WDR arbeitet er trimedial: für WDR Fernsehen, WDR Hörfunk und WDR.de. In seiner Sendung "Angeklickt" in der Aktuellen Stunde berichtet er seit 20 Jahren jede Woche über Netzthemen – immer mit Leidenschaft und leicht verständlich.

13 Kommentare

  1. Wer sich in die Welt von facebook, instagram und twitter begibt, kommt darin um…
    Ich war fast 2 Jahre täglich ca. 2-3 Stunden auf twitter unterwegs vorwiegend zu politischen Themen. Ich habe -Gott sei Dank- vor 2 Jahren die Reissleine gezogen und den account gelöscht. Ich kann mir ein bisschen vorstellen, was Politiker u.a. exponierte Personen mit einem account hier zu ertragen haben!
    In anderen social media hatte Ich nie einen account. Ich vermisse auch NICHTS!

  2. Danke für den tollen Bericht. Nur das in der momentanen Lage nicht nur die Dorfkneipen sondern auch die Kneipen in der Stadt für alle geschlossen haben. News hin oder her wichtig ist das der Alltag bald wieder und Normalität einkehrt die Junggesellenabschiede wollen wieder gefeiert werden.

    • Von “Dorfkneipen” habe ich glaube ich gar nicht gesprochen. :) Und: Ja, ich denke auch, wenn sich Menschen in ihrem üblichen Rahmen treffen und austauschen können, hat das bestimmt auch einen positiven Aspekt: Mal im geschützten Raum Dampf ablassen. ;-) Ich wollte nicht den Stammtisch diskreditieren.

  3. So schlecht das sein mag, was teilweise bei Telegram gepostet wird, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass, in Ländern mit repressiven Systemen, dieser Messenger der einzige? ist, der Oppositionellen die unbeschnüffelte Kommunikation ermöglicht. Zu derem Wohle sollten wir Attila und Konsorten erdulden.

  4. Leider bleibt im Artikel unerwähnt, dass Telegram auch der! Kanal erster Wahl für terrornahe Islamisten ist, um ihre schäbige Terrorpropaganda und auch antisemitische Hetzparolen zu verbreiten. Zumal sich auch der Wiener Attentäter nicht nur in seiner Moschee, sondern insbesondere via Telegram radikalisierte und dort z.B. IS-Propagandavideos verschickte. Sich hier nur auf (rechte) Stammtischgröhler und Verschwörungsgläubige zu beschränken, geht definitiv nicht weit genug, entspricht aber -leider- meiner allgemeinen wahrgenommenen Berichterstattung/Schwerpunktsetzung zu diesem Thema. Auf Telegram “ermutigen” sich mithin nämlich auch andere, vielmehr sämtliche radikale Rattenfänger (in militanter Ausprägung: Linke, Klimaschützer, sonstige Religiöse, Weltenretter etc.) und stacheln sich selbst zu Aggressionen auf und andere an – zutreffend: “Manipulationsmaschine”. Auch diese “Typen” sind höchst “antidemokratisch”, um mal die Kurve zur o.g. “Leipziger Autoritarismus Studie 2020” zu kriegen, die den Schwerpunkt übrigens nahezu ausschließlich auf rechtsextreme Gefahren legt.
    Lesenswert:
    hass-im-netz . info/themen/artikel/dschihadisten-rekrutieren-ueber-messenger-telegram-1
    [“… Telegram gewinnt immer größere Relevanz für die Verbreitung islamistischer Propaganda. …die Zahl an deutschsprachigen Kanälen aus diesem Bereich ist stark angewachsen. Zwei Drittel können dem dschihadistischen Spektrum zugeordnet werden. …”]
    “Wie können wir den Geist wieder in die Flasche kriegen?”
    Gar nicht mehr – dafür ist es längst zu spät, ganz im Gegenteil: es wird immer heftiger und gefährlicher! :-(

    • Danke für diese Ergänzung. Ja, das ist richtig: Terroristen und Kriminelle nutzen Telegram ebenfalls. Ein weiteres Thema, das uns heute Abend in der Aktuellen Stunde beschäftigt (Angeklickt): DIe EU-Innenminister wollen gerne Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation.

      • Schwierig, denn unter den EU-Ländernsind auch so illustre Länder wie Ungarn und Polen wo die Grenzen zur Rechtstaatlichkeit in Auflösung begriffen sind. Ferner noch nette Gesetze das Informationen frei zwischen den Ländern fließen.
        Jetzt noch Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation. Man kann sich den Rest denken.
        Die Gefahren die verschlüsselte Kommunikation aufzubrechen sind also genau so real wie die Leute welche Ihre extremen Ideologien darüber pflegen.
        Was ist gefährlicher?

      • Brigitte am

        Es ist aber sehr leicht, bei Telegram mutzulesen, ohne dem Kanal beizutreten, da ganz vieles öffentlich ist. Am 18.11. haben z.B User ihre Handynummern ausgetauscht. Jeder konnte sie lesen. Ich glaube, den Leuten ist nicht Mal klar, dass sie sich nicht in einer Gruppe Gleichgesinnter befinden, sondern in der Öffentlichkeit. Was man aber in den Kanälen lesen kann, ohne der Gruppe beizutreten ist zum Teil haarsträubend. Warum wird nichts dagegen unternommen?

        • Das ist eine berechtigte Frage. Ich kann da nur spekulieren: Vermutlich, weil es nicht einfach ist, die Täterinnen und Täter ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen.

  5. Jörg Schieb am

    Nun, ich denke, es ist schon verantwortungsvoll hinzuschauen, wie sich eine Gesellschaft entwickelt – und welche Werkzeuge zum Einsatz kommen bei der politischen Meinungsbildung. Eine Holocaust-Leugnung etwa — auf Facebook öffentlich und strafrechtlich verfolgbar, auf Telegram schon schwieriger.

  6. Carsten Mohr am

    “..hier gibt es keine Algorithmen, die Content zum Zwecke der Umsatzoptimierung bevorzugen oder benachteiligen. Telegram ist – sozusagen – “echt”. Hier machen die User alles untereinander aus.”

    “Ein zunehmendes Problem. Denn jeder kann auf Telegram einen öffentlichen Kanal öffnen, dem dann jeder folgen kann. Es gibt keine Begrenzung der Teilnehmerzahl.”

    “Telegram ist damit zum effektiven Manipulationsinstrument geworden”

    “ohne nur die geringste Möglichkeit zur Kontrolle”

    So, jetzt frage ich mal als normal sterblicher, wer wenn nicht die Leute selbst sollen kontrollieren, was sie konsumieren, was sie glauben und wofür sie sich entscheiden? Wer, lieber Herr Schieb, soll denn bitteschon kontrollieren?
    Das Thema kommt immer und immer wieder, bis ich zum Wiederkäuer werde…
    Jetzt hat man einen Dienst mit “no frills” und es ist auch nicht recht. Denn eines ist sicher: üble Nachrede, Volksverhetzung und was nicht sonst noch an Strafbarkeiten begangen wird, sind verfolgbar und müssen nur durchgesetzt werden…nicht einmal neue Gesetze sind dafür notwendig.

    • nathan d. weise am

      und war es nicht auch sinn und zweck des internets der freien meinungsäußerung? das den politikern das eine oder andere nicht gefällt dürfte klar sein. wie in jeder dorfkneipe auch. die menschen ändern sich nicht.

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