Die Volksparteien und dieses Internet

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Die Volksparteien und dieses Internet

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“Hey Rezo, Du alter Zerstörer” – mit diesen Worten hat CDU-Youngster Philipp Amthor seine bebilderte Antwort auf Rezos mittlerweile berühmtes YouTube-Video begonnen. Gar nicht schlecht! Immerhin hat sich Amthor die Mühe gemacht, auf Rezos provokantes Video zu antworten. Doch die CDU-Führung hat das Video eingesackt – kaum jemand kennt die Antwort von Amthor. Schade eigentlich – aber nur ein weiteres Indiz für die Hilflosigkeit, mit der die CDU auf den zunehmenden Druck aus dem Netz umgeht.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer versteht die Welt nicht mehr; Rechte: WDR/Schieb

Die CDU-Chefin hat katastrophal auf die Kritik aus dem Netz reagiert

Digitalisierung im Schneckentempo

Ein Plot wie aus “House of Cards” oder “Designated Survivor”: Ein simpler YouTuber greift die etablierte Politik an – und die Parteichefin gerät außer sich, droht mit Einschränkungen der Meinungsfreiheit und schüttet so noch Öl ins Feuer. Aber nicht nur die Chefin patzt – praktisch die ganze Partei ist paralysiert. Nicht nur die CDU, auch die SPD und die FDP wissen mit dem “Phänomen” nicht umzugehen.

Dennis Horn und ich haben uns gefragt: Wieso sind unsere Volksparteien in Sachen Digitalisierung so schlecht aufgestellt? Wieso können sie nicht kommunizieren? Wieso geht es bei der Digitalisierung nur im Schneckentempo voran? Darum haben wir in unserer neuesten Ausgabe des Cosmotech Podcast mit cnetz-Sprecher Thomas Jarzombek gesprochen. Er klingt im Gespräch manchmal verzweifelt, aber trotzdem tapfer – und sagt den bemerkenswerten Satz:

Jemand, der Digitalisierung nicht versteht, der darf künftig auch nicht mehr Bundesminister werden.

Cosmotech Podcast: Die Volksparteien und dieses Internet; Rechte: WDR

Cosmotech Podcast: Die Volksparteien und dieses Internet

Ohne Digitalkompetenz kein/e Minister/in

Das ist ein Satz, schneidend wie ein Schwert. Denn im Grunde genommen bedeutet das die sofortige und fristlose Kündigung für praktisch das komplette Kabinett. Sieht man mal von Dorothee Bär oder Lars Klingbeil ab, die durchaus ein gewisses Verständnis für Digitalisierung haben – aber keine Ministerposten -, sind alle anderen Kabinettsmitglieder mehr oder weniger ahnungslos. Kanzlerin inklusive.

ARD-Korrespondentin Kristin Becker hat eine These, wieso es die Digitalisierung in der Politik so schwer hat: Möglicherweise könnten die verkrusteten Strukturen schuld sein, die es seit Jahrzehnten gibt – und nicht gerne geändert werden. Streng hierarchisch organisiert und zudem, regionalisiert: Ortsverbände. Landesverbände. Bundesverbände. Eine barrierearme Kommunikation ist gar nicht vorgesehen – eine mit dem “Volk” schon mal gar nicht. Erst recht nicht direkt.

Aber es ändert sich was. Thomas Jarzombek ist nicht der einzige, der entschlossen zu sein scheint, einen anderen Weg einzuschlagen. In dieser Hinsicht war das Rezo-Video sogar eine Hilfe. Selbst Uneinsichtige sehen ein, dass sich “was ändern muss”. Was auch immer das bedeutet.

Mehr dazu gibt es in der aktuellen Ausgabe von unserem Podcast.

 

Über den Autor

Jörg Schieb ist Internetexperte und Netzkenner der ARD. Im WDR arbeitet er trimedial: für WDR Fernsehen, WDR Hörfunk und WDR.de. In seiner Sendung "Angeklickt" in der Aktuellen Stunde berichtet er seit 20 Jahren jede Woche über Netzthemen – immer mit Leidenschaft und leicht verständlich.

5 Kommentare

  1. Eigentlich halte ich wenig von disruptiven Innovationen. Zumindest in dieser Hinsicht bin ich eher konservativ. Aber es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis eine Software den Politiker-Job besser erledigt, als das verfügbare Personal. Ein Programm funktioniert wenigstens logisch und künstliche Intelligenz lernt ja aus ihren Fehlern. Dass man mit Klientelpolitik nicht langfristig weiter kommt, dürft sich dann irgendwann im Programm zeigen und damit der Vergangenheit angehören. Bis eine Software zur Wahl antreten darf. Bei Open Source kann man sogar nachvollziehen, ob das Vergessen von Wahlslogans oder gar Wahlversprechen bereits einprogrammiert worden ist und Fehler können korrigiert werden. Versuche das mal jemand bei einem Politiker.
    Der digitale Politiker, der dank künstlicher Intelligenz sogar noch aus seinen Fehlern lernen kann und keine Rente beansprucht, könnte eine erstrebenswerte disruptive Innovation sein. Zumindest muss Politiker nun nicht die letzte Berufsgruppe sein, die durch die digitale Transformation überflüssig wird. Deutschland sollte sich da mal an die Spitze setzen.
    Matrix stimmt auch hier: Wer kennt schon einen Politiker persönlich. Falls das Programm Trump außer Kontrolle geraten sein sollte, hat die Demokratie nach vier Jahren eine Update und nach 8 Jahren eine neue Programmversion verordnet. Vielleicht gründe ich für den Anfang mal eine digitale Partei. Meine Wahlversprechen. Der digitale Spitzenkandidat wird zu allen Sitzungen in allen Ausschüssen anwesend sein. Und das Abstimmungsverhalten von Martin Sonneborn dürfte nicht zu schwer zu programmieren sein.

  2. Noch eine andere Theorie warum es mit dem Thema “Digitalisierung” in der Politik so schlecht bestellt ist:
    Jeder Mensch ist sehr begrenzt in seiner Wahrnehmung und seinem möglichen Verständnis. Er ist sich dessen die meiste Zeit aber nicht bewusst, sondern meint die Welt und alle Zusammenhänge zu kennen und zu verstehen (wiedergegeben sinngemäß nach Daniel Kahnemann).
    Übersetzt für dieses Thema bedeutet das, dass die Damen und Herren Politiker zwar kein Verständnis dafür haben, aber selbst trotzdem der Ansicht sind das Thema so weit es nötig ist zu durchschauen. Sie sind sich Ihrer eigenen Ignoranz nicht bewusst. Aus diesem Selbstverständnis heraus lässt sich nun natürlich vortrefflich dilletantieren.
    Als gutes Beispiel erscheint mir der EU-Digitalkommissar von 2014-2016 Hr. Oettinger.
    Und ganz abstrus wird es wenn, wie in dem zugrundeliegenden Podcast geschildert, die eigene Partei noch nicht einmal auf die eigenen Leute hört, die mehr Sachkenntnis aufweisen.

    • Stellen Sie sich vor, der Metzgermeister Ihres Vertrauens tut Ihnen eines Tages freudestrahlend und voller Selbstsicherheit kund, dass er in wenigen Jahren aus seiner Fleischerei das weltbeste Zentrum für Gehirnchirurgie machen möchte.

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