Twitter überlässt die Faktenchecks seinen Nutzern

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Twitter überlässt die Faktenchecks seinen Nutzern

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Nach all den Jahren versauter Debattenkultur, Verantwortungslosigkeit der Plattformen, Verschwörungserzählungen, Desinformation und Hass wären auf diese Idee wohl nur die wenigsten gekommen: Twitter will fürs Faktenprüfen nicht etwa neue Leute einstellen oder Kooperationen mit Profis eingehen – sondern seinen Nutzerinnen und Nutzern diesen Job überlassen.

“Birdwatch” nennt Twitter sein Projekt. Wer Desinformation enthält, kann einen Tweet mit Kontext versehen – andere können diese Anmerkungen im Anschluss danach bewerten, ob sie hilfreich sind und sie ihnen zustimmen. Kontext also nicht mehr nur für Lügen von Staatschefs wie Donald Trump, sondern für alle.

Die Faktenchecks macht Twitter erst einmal auf einer eigenen Seite nur in den USA verfügbar; auch die Testphase richtet sich an eine US-Nutzerschaft. Sollte sie erfolgreich sein, will Twitter die Faktenchecks aber direkt in einzelnen Tweets sichtbar machen.

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Twitter – wer kontrolliert wen? – WDR 5 Tagesgespräch

Muss das nicht schiefgehen? Wenn sich diejenigen, die die Plattform zur Desinformation nutzen, in Zukunft auch selbst an der Faktenprüfung beteiligen können? Die Frage trifft einen Punkt. Denn die Plattformen neigen bisher dazu, ihre Probleme mit Algorithmen und Technologie zu bekämpfen, die auch die Ursachen für die Probleme mit der Desinformation waren.

Dazu kommt die Gefahr der Manipulation. Wie zum Beispiel lässt sich vermeiden, dass sich politische Gruppen dazu verabreden, einzelne Tweets in andere Kontexte zu rücken? “Brigading” nennt sich das, und Twitter selbst bezeichnet es als “eine der größten Sorgen” – ob Birdwatch erfolgreich wird, hängt auch davon ab, wie manipulationsanfällig es sein wird.

Sollte es funktionieren, hätte Birdwatch aber einen großen Vorteil gegenüber anderen Lösungen: Es skaliert. Niemals könnte Twitter die Zahl an Menschen einstellen, die es bräuchte, um die gesamte Plattform im Blick zu halten. Und auch künstlich intelligente Algorithmen sind dafür definitiv nicht auf dem nötigen technischen Stand.

Was Twitter plant, mag danach klingen, die Verantwortung auf die Nutzerschaft abzuwälzen. Es klingt aber auch nach einer Wikipedia für Faktenchecks. Die ersten Tests seien positiv verlaufen, so Twitter. Und das Maß an Transparenz, das Twitter schafft, indem es zum Beispiel den Quellcode für Birdwatch bei Github veröffentlicht hat, ist beachtlich.

Es ist ein neuer Ansatz, den Twitter wählt – und der im Idealfall sogar Modell für andere Plattformen wie Facebook oder Youtube stehen könnte. Den Versuch ist es wert.

Über den Autor

Dennis Horn, offline geboren 1981 in Köln, arbeitet als Digitalexperte in der ARD. Für Tagesschau und Morgenmagazin ordnet er die Entwicklungen in der digitalen Welt ein - und in Digitalistan bloggt er seit vielen Jahren darüber.

Ein Kommentar

  1. Regelmäßig sind Artikel zu lesen, dass die Anhänger von wenig fundierten Ansichten auch die sind die am fleißigsten im Internet Ihre Meinung kundtun und oft den Ton angeben.

    Da ist die Wahrscheinlichkeit das die Faktenprüfung zu einer Glaubensbestätigung wird extrem groß. Das ist im Artikel auch schon so geschrieben.

    Warum es also versuchen ? Warum nicht stattdessen doch mehr Menschen einstellen ? Viele, viele Menschen. Wenn KI, Digitalisierung viele Jobs kostet, dann wäre das ein Weg neue zu schaffen. Warum nicht die Milliardengewinne, wenigstens teilweise über Gehälter wieder in die Gesellschaft bringen, wo sie hingehören.

    Und nehmen wir mal an es funktioniert, warum auch immer, dann erbringt die Community wieder einmal kostenlose Wertschöpfung. Warum sollten die davon profitierenden Unternehmen dann nicht großzügigst Digitalsteuer bezahlen ? Angebracht wäre es.

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